Newsletter TIR-Bibliothek: TIR präsentiert den Lesetipp
Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) stellt mit ihrem ersten Bibliotheksnewsletter des Jahres 2023 wiederum ausgewählte Neuzugänge vor. Präsentiert werden dabei Bücher, Artikel und Filmbeiträge zu tierrelevanten Themen. Im Fokus der aktuellen Ausgabe steht das Buch "Tierschutz und Tierrechte im Königreich Württemberg", das die Entstehung der Tierschutz-Bewegung im deutschsprachigen Raum aufzeigt und der Frage nachgeht, welche Rechte die Tiere und welche Pflichten die Menschen ihnen gegenüber haben.
18.04.2023
Als sich die erste deutsche Tierschutzinitiative 1838 an die Öffentlichkeit wandte, wollte sie einen Paradigmenwechsel im Verhältnis der Menschen zu den Tieren herbeiführen. Dabei wurde insbesondere die beginnende Abschaffung der Sklaverei als Beispiel herangezogen, um auch den Tieren eine Stimme und Rechte zu verleihen. Auf die Menschenrechte sollten auch Tierrechte folgen. Tierquälerei und Missstände sollten konsequent bekämpft werden. Der Gründung des "Vereins gegen die Tierquälerei" in Stuttgart um 1838 folgte die Entstehung weiterer kleinerer Vereine im Königreich Württemberg. Sie hatten ein gemeinsames politisches Ziel und bildeten so den Kern des Tierschutzbündnisses.
Pfarrer Christian Adam Dann war die treibende Kraft hinter dieser neuen Bewegung, die gewissermassen 1820 mit seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit über das Leiden der Tiere und alltägliche tierquälerische Praktiken begann. Obwohl die Massentierhaltung im heutigen Sinne noch nicht existierte, war die Lage der Tiere keineswegs besser oder der Umgang mit ihnen schonender und gerechter. Dann publizierte seine Ideen des Schutzes von Tieren in seinen Schriften und führte auch aus, welche Rechte und Freiheiten ihnen zukommen sollten. Er plädierte für ein schonendes und gerechtes Betragen gegenüber Tieren, prangerte die Unvernunft der Menschen an und schrieb den Tieren Vernunft und Moral zu.
Albert Knapp, der Dann als seinen Mentor und Freund bezeichnete, führte die Bemühungen nach Danns Tod um mehr Schutz für die Tiere weiter und leitete später die Gründung der ersten Tierschutzvereine ein. Es war auch die Zeit des Pietismus, einer Reformbewegung im europäischen Protestantismus, die sich um geistliche Erneuerung bemühte, und der Aufklärung, verbunden mit einer neuen Empfindsamkeit. Nicht nur bekannte Pietisten und Prediger, wie Christian Adam Dann oder Albert Knapp, riefen zu einer grundlegenden Veränderung des Verhältnisses zu den Tieren auf. Auch Bäuerinnen und Bauern sowie Teile des Adels steuerten praktische Ansätze für einen besseren Umgang mit Tieren bei. Aufmerksamkeit widmet das Buch auch dem ausserordentlichen Engagement der Frauen: Sie gründeten eigenständige Tierschutzvereine, sogenannte Frauentierschutzvereine. Der früheste selbständige Frauentierschutzverein in Deutschland entstand in Dresden um 1844. Die Frauen betrachteten es als ihre Hauptaufgabe, in Küche und Haus auf die Vermeidung jeder Tierquälerei hinzuwirken.
Ein Blick auf die heutige Gesetzgebung in Deutschland und in der Schweiz zeigt, dass sich inzwischen viel getan hat – und dass Tiere dennoch auch heute noch immer leiden. Die Schutzvorschriften zugunsten von Tieren sind heute detailliert ausgearbeitet. Statt einfacher Strafnormen existieren ganze Regelwerke, um den Umgang mit Tieren zu regeln. Aber gerade der Umstand, dass so viele Vorschriften im Mensch-Tier-Verhältnis existieren, zeigt, dass Tieren grundlegendste Rechte noch immer verwehrt bleiben. Beispielsweise ist ihre Tötung im Rahmen der Nahrungsgewinnung nicht etwa verboten, sondern unter Beachtung zahlreicher komplexer Bestimmungen erlaubt. Um die Belastungen der betroffenen Tiere möglichst gering zu halten, ist es notwendig, ihre Aufzucht, den Transport und den Umgang mit ihnen bis hin zur Betäubung und Entblutung möglichst exakt zu normieren. Dennoch bilden selbst erhebliche Leiden, Schmerzen und Angst durch Normierungslücken und einen mangelhaften Vollzug keine Ausnahme, auch in der Schweiz.
Seit 2008 stellt das Schweizer Tierschutzgesetz die Missachtung der Würde der Tiere unter Strafe. Damit ist nicht nur die Zufügung ungerechtfertigter körperlicher und mentaler Belastungen verboten, vielmehr sind auch andere Verletzungen des Eigenwerts von Tieren, namentlich ihre Erniedrigung, ihre übermässige Instrumentalisierung sowie tiefgreifende Eingriffe in Erscheinungsbild oder Fähigkeiten von Tieren unzulässig. Dennoch leiden und sterben Millionen Nutz-, Versuchs-, Heim- und Wildtiere jährlich für mitunter triviale Belange der Menschen.
Das Stopfen von Gänsen und Enten ist in der Schweiz – und ebenso in zahlreichen europäischen Ländern – zwar seit über 40 Jahren verboten, dennoch ist der Import von Stopfleber, die mittels dieser höchst grausamen Produktionsmethode erzeugt wird, nach wie vor erlaubt; Parlament und Regierung lehnen Einschränkungen diesbezüglich beharrlich ab. Dasselbe gilt in Bezug auf Froschschenkel und zahlreiche weitere tierische Erzeugnisse.
Das Werk "Tierschutz und Tierrechte im Königreich Württemberg" ist im Handel erhältlich und kann nach Voranmeldung während der Öffnungszeiten auch in der TIR-Bibliothek eingesehen werden, wo Lese- und Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Aktuelle Neuzugänge in der TIR-Bibliothek werden jeweils im Newsletter TIR-Bibliothek vorgestellt.
Weitere Informationen
- Buch: Tierschutz und Tierrechte im Königreich Württemberg von Wolfram Schlenker
- Artikel: "Es wäre ein spektakulärer Wurf" - Der Tierrechtler Gieri Bolliger erklärt, weshalb er Grundrechte für Affen für unausweichlich hält von Katharina Fontana
- Artikel: Grundrechte jenseits der "anthropologischen Schranke"? von Charlotte Blattner, Raffael Fasel
- Buch: For the Love of Animals - The Rise of the Animal Protection Movement von Kathryn Shevelow
- Buch: Wider die Tierquälerei - Frühe Aufrufe zum Tierschutz aus dem württembergischen Pietismus (Kleine Texte des Pietismus, Band 7) von Christian Adam Dann, Albert Knapp, Martin H. Jung (Hrsg.)
- Buch: Aufruf an alle Menschen von Nachdenken und Gefühl zu gemeinschaftlicher Beherzigung und Linderung der unsäglichen Leiden der in unserer Umgebung lebenden Thiere (Schriften des Tierschutzvereins in Württemberg Nr. 8) von Christian Adam Dan
- Buch: Animal Dignity Protection in Swiss Law – Status Quo and Future Perspectives (TIR-Schriften – Band 15) von Gieri Bolliger
- DVD:
Animal People - The Humane Movement in America - A History of the Animal Protection Movement and the People Who Made It Happen von Gary Kaskel
- Aktuelle Neuzugänge in der TIR-Bibliothek: Newsletter TIR-Bibliothek 01/2023
- Übersicht aller bisher erschienenen Newsletter