Über den Sinn und Unsinn des Veganuary
Da wären wir also wieder einmal im Januar. Dem Monat der guten Vorsätze. Und Vorsätze führen seit einigen Jahren zu sogenannten Challenges. Von der Ausmist-, Yoga- oder Low-Carb-Challenge bis zum Social-Media-Detox- oder dem Dry-January ist alles dabei. Persönlich halte ich nicht sehr viel von solchen Vorhaben. Einerseits, weil sie nicht selten unrealistisch sind, andererseits, weil sie oftmals zu einem Jo-Jo-Effekt führen, der den Schlamassel nur noch grösser macht.
Und genau das ist es, was mich am derzeit gehypten «Veganuary» stört. Egal, wo man hinschaut – auf Plakatwände, in Zeitungen, in die sozialen Medien und insbesondere in die Regale der Verkaufsläden: Vegane Alt- und Neuheiten sind allgegenwärtig. Und die passenden Rezepte finden sich etwa in Coop- und Migros-Zeitungen, die ihre Seiten vor Kurzem gerade noch mehrheitlich der Zubereitung von Fisch und Fleisch gewidmet hatten.
Denn da war ja Weihnachten. Ein Fest, das wir Schweizerinnen und Schweizer speziell gerne zum Anlass nehmen, um ohne Rücksicht auf Verluste masslos über die Stränge zu schlagen. Schliesslich haben wir Schwerstarbeitenden uns das mehr als verdient, oder etwa nicht? Und als Belohnung darf es nicht nur von allem sehr viel, sondern auch etwas Exquisites sein. Man gönnt sich dann endlich mal eine Gänseleberterrine oder einen Hummer. Oder gar Austern? Bitte nicht! Oder ist es wirklich in Ordnung, den Gänsen ein Rohr in den Hals zu rammen, damit sie richtig schnell richtig fett werden? Kaum. Und die Hummer geniessen nach der langen Reise auf Eis auch nicht einfach ein Bad im kochenden Wasser – bei lebendigem Leibe. Eine Praxis, die hierzulande übrigens verboten ist, was leider trotzdem nicht alle kümmert. Und das Zucken der Austern ist tatsächlich ein Zeichen dafür, dass sie noch leben. Aber Herr und Frau Schweizer sind wirklich gut darin, die Liebe am Fest der Liebe zu ignorieren. Und selbst wenn das fürs Fondue Chinoise verwendete Fleisch mit fünf Labels verziert ist, glaubt nicht mal das Christkind, dass diese Tiere im Paradies zu Tode gestreichelt wurden.
Das schlechte Gewissen wegen der übertriebenen Schlemmerei, Trinkerei oder Schenkerei, das manche von uns im Januar einholt, entsteht dann aber häufig nicht wegen der Tiere. Seien wir ehrlich, meistens geht es dabei doch wieder um uns selbst. So auch beim Veganuary. Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Tierschutzherz macht Fünffachsaltos. Ein veganer Januar, was für eine Entwicklung! Ich bin sicher, dass sich immer mehr Fleischesser aufgrund solcher Trends auch mal auf ein veganes Schnitzel oder zumindest ein veganes Fischstäbli einlassen. Aber mein Tierschutzherz ist trotz diesen Fortschritten halt auch etwas geschunden. Denn selbst wenn die vegetarischen Nuggets womöglich weiterhin ihren Weg in den einen oder andern Einkaufskorb finden, ist auch hier der Jo-Jo-Effekt vorprogrammiert. Sei dies in Form von Gulaschsuppe in der Skihütte oder spätestens an Ostern, wenn die Lämmlein oder Gitzi verdrückt werden. Und komme was wolle: Im Sommer wird die Grillsaison wieder Einzug halten und mit ihr die Dominanz von Cervelat und Co. Und dann ist da ja auch noch die Wildsaison. Und schon haben wir wieder Weihnachten.Was für ein Kreislauf! Für die Tiere wortwörtlich.
Sind wir nicht eine Widerspruchsgesellschaft sondergleichen? Ohne Rücksicht auf Verluste wird Ende des Jahres zugeschlagen, um im Januar zu beweisen, dass man doch vernünftig, mitfühlend, nachhaltig ist – bevor es wieder von vorn losgeht. Wie wäre es zur Abwechslung mit einem moderaten Umgang mit allem, das uns im Übermass zur Verfügung steht? Und vielleicht findet sich für diesen Überschuss ja irgendwann doch noch eine sinnvollere Verwendung.
Über die Autorin
TIR-Juristin Dr. iur. Michelle Richner nimmt sich in ihrem Blog regelmässig einer Tierschutzproblematik an. Alles wie gehabt, sollte man meinen. Das macht sie schliesslich seit bald 18 Jahren. Aber Achtung: Für einmal geht es hier nicht um eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung. Ziel ist es vielmehr, unseren allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit den Tieren zu hinterfragen – und zwar direkt, ehrlich und kompromisslos. Wenngleich die aufgegriffenen Themen häufig auch bereits TIR-Stoff darstellten, soll der persönliche Blog der Autorin Raum für ihre eigene Meinung verschaffen. Und diese ist nicht zwingend mit jener der TIR identisch.
Michelle Richner lebt mit ihrem Sohn und ihren zwei Katzen in Zürich. Unter anderem verfasst sie auch regelmässig Beiträge für den Mamablog bei Tamedia.