Sommer, Sonne, Tierleid – ein Rückblick
Dieser Sommer hatte es in sich: Zuerst überraschte er uns quasi noch in den Winterkleidern, indem er die Temperaturen über Nacht in die Höhe schiessen liess, um uns dann einige Wochen später mit seinen Hitzewellen so richtig einzuheizen. Überfordert waren dabei nicht nur wir, sondern auch unsere felligen und gefiederten Freunde. Man stelle sich einmal vor, bei 34 Grad einen Pelz tragen zu müssen und weder über ein Badi-Abo noch über eine mit dem Menschen vergleichbare Schweissregulationsfähigkeit zu verfügen. Puh! Und als ob sie damit nicht bereits ausreichend bedient wären, geraten Tiere durch vermehrtes menschliches Fehlverhalten zusätzlich in Not.
Der Klassiker unter den sommerlichen Tierschutzverstössen ist das Zurücklassen von Hunden im überhitzten Auto. Obwohl man doch wissen sollte, dass es im Innern eines Fahrzeugs ganz schnell extrem heiss werden kann, vertrauen gewisse Halter offenbar noch immer auf die Superkräfte ihrer Hunde. Da diese tatsächlich nicht existieren, leiden die Tiere enorm, dehydrieren und ersticken im schlimmsten Fall. Bitte reagieren Sie deshalb, wenn Sie eine solche Situation antreffen. Wer den Halter nicht ausfindig machen und die Polizei nicht schnell genug aufbieten kann, schlägt die Scheibe ein. Richtig gelesen: Für einmal ist das in Ordnung. Aber wirklich nur in diesem Fall.
Durch falsche menschliche Einschätzungen können auch auf der Weide gehaltene Tiere in prekäre Situationen geraten. Verkannt wird dabei nicht selten, dass Wasser tatsächlich verdunstet und sich der Schatten je nach Sonnenstand verabschiedet, was schnell lebensbedrohlich werden kann. Im Übrigen können Kuh, Pferd oder Schaf generell auch während Ferienabwesenheiten ihrer Halter krank werden. Vor der Abreise gilt es daher auch bei Nutztieren, eine geeignete Betreuung zu organisieren.
Apropos Ferien: Vor der Sommerpause liegt das Aussetzen von Tieren im Trend. Statt süss sind sie für einige Halter in dieser Zeit nur noch lästig. Etwa wenn sämtliche Ferienplätze in den Tierheimen bereits vergeben sind und sich auch sonst niemand zum Petsitten finden lässt. Dann kann es durchaus passieren, dass ein Wurf von fünf Katzenwelpen in einen Plastiksack gesteckt und sich selbst überlassen wird. Ja, das ist tatsächlich in der «heilen» Schweiz passiert und bei Weitem nicht der einzige Vorfall seiner Art. Dank Finder, Tierheim, Pflegestelle und anschliessender Adoption geht es diesen Büsis heute glücklicherweise gut.
Immerhin ist es hierzulande relativ einfach, etwas gegen schlechte Tierhaltungen zu unternehmen. Wer bei Problemen nicht weiterkommt, kann sich stets an den kantonalen Veterinärdienst oder an die Polizei wenden. Möglich ist dies, weil der Umgang mit Tieren in der Schweiz verrechtlicht ist. Das heisst, wer gegen das Tierschutzgesetz verstösst, der wird bestraft. Was geschieht, wenn es an einer solchen Reglementierung fehlt, sehen wir oft im Ausland. Andere Länder, andere Sitten und anderes Recht. Oder, was den Tierschutz betrifft, häufig kein Recht. So kann es durchaus sein, dass man im Urlaub auf Stierkämpfe, Tanzbären oder heruntergekommene Wildtierparks trifft. Tierquälereien sondergleichen – nur leider nicht überall von Gesetzes wegen.
Das Tierschutzherz zum Bluten bringen auch lebend zur Auswahl präsentierte Speisen in Restaurants: Seien dies Hummer mit zusammengebundenen Scheren, Fische in trostlosen und viel zu kleinen Aquarien oder für die Suppe bestimmte Schildkröten. Statt sich einfach den Appetit verderben zu lassen, sollte man die Beiz auf die Missstände aufmerksam machen, beispielsweise in Form eines Beanstandungsbriefs. Solche Interventionen helfen: Im Fall einer Touristin in Italien haben sie dazu geführt, dass in Pisa zwei grosse Fische aus einem mickrigen Aquarium befreit wurden. Tier im Recht (TIR) konnte dabei ihre italienischen Kontakte mobilisieren. Von Befreiungsaktionen ist hingegen abzuraten. Auch wenn sie gut gemeint sind, bringen sie in der Regel nicht viel, weil oft einfach die nächsten Tiere angeschafft werden.
Wir haben es beim Reisen vermutlich alle schon beobachtet: Papageien, Katzen oder Igel in viel zu kleinen Käfigen, an Ketten präsentierte Affen, viel zu kurz angebundene Pferde und Kamele oder angefahrene Strassenhunde. Einige dieser Tierquälereien machen auch vor weltberühmten Promenaden keinen Halt. Waren Sie schon einmal an der Rambla in Barcelona? Dann wissen Sie, was ich meine. Leider kann nicht viel dagegen unternommen werden, da manches vor Ort wahrscheinlich erlaubt ist oder es schlicht niemanden interessiert. Deshalb gilt: Sonnenbrille hoch und böse Blicke in Richtung Halter werfen – und sich vielleicht bei Gelegenheit mit einer lokalen Tierschutzorganisation in Verbindung setzen.
Sie sehen: Bei Sommer, Sonne, Sonnenschein herrscht noch lange nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Im Gegenteil. Und wer dann nicht mehr anders kann, als in den Ferien heimlich ausgehungerte Katzen in Restaurants zu füttern, verletzte Tiere zu versorgen oder so viel Tierfutter wie möglich ins nächste Tierheim zu bringen, um dort womöglich gleich noch die Zwinger zu reinigen, den kann ich gut verstehen. Aber auch in der Schweiz sollten wir mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend laufen und einem Winseln lieber einmal mehr als gar nicht nachgehen.
Veröffentlicht am 7. September 2023
Über die Autorin
TIR-Juristin Dr. iur. Michelle Richner nimmt sich in ihrem Blog regelmässig einer Tierschutzproblematik an. Alles wie gehabt, sollte man meinen. Das macht sie schliesslich seit bald 18 Jahren. Aber Achtung: Für einmal geht es hier nicht um eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung. Ziel ist es vielmehr, unseren allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit den Tieren zu hinterfragen – und zwar direkt, ehrlich und kompromisslos. Wenngleich die aufgegriffenen Themen häufig auch bereits TIR-Stoff darstellten, soll der persönliche Blog der Autorin Raum für ihre eigene Meinung verschaffen. Und diese ist nicht zwingend mit jener der TIR identisch.
Michelle Richner lebt mit ihrem Sohn und ihren zwei Katzen in Zürich. Unter anderem verfasst sie auch regelmässig Beiträge für den Mamablog bei Tamedia.
Weitere Blogbeiträge
Wenn Tiere es mit Bräuchen zu tun bekommen
Dies sind nur einige der helvetischen Brauchtümer. Je nach Land, Region und Kultur liessen sich unzählige weitere beschwingte Traditionen auflisten. Leider gibt es aber auch die anderen Bräuche. Solche, bei denen von Heiterkeit keine Rede sein kann. Etwa dann, wenn Althergebrachtes auf Tierquälerei trifft.
Schauen wir für einmal zuerst ins Ausland: So erlangte zum Beispiel die Bucht von Taiji nicht als japanische Feriendestination Bekanntheit, sondern vielmehr als Tatort des alljährlich zwischen September und März begangenen Massakers an bis zu 2000 Delfinen. Der Verzehr von Wal- und Delfinfleisch gilt als von der Regierung geschützte Tradition. Die Jagd ist infolgedessen erlaubt und wird im Rahmen der vorgegebenen Kontingente sogar subventioniert. Einige Tiere werden zwar von Harpune und Eisenstange verschont – jedoch nicht aus Tierliebe. Im Gegenteil: Sie gelten als lukrative Handelsware und enden in Delfinarien.
Ähnlich brutal geht es in Europa zu und her. Genauer gesagt auf den Färöerinseln. Die Rede ist vom «Grindadráp»: Während der zwischen Mai und Oktober stattfindenden Treibjagd werden Hunderte von Walen und Delfinen eingekesselt und abgeschlachtet. Und dies nicht von professionellen Walfängern, sondern von «gewöhnlichen» Inselbewohnern samt ihren Kindern. Das Fleisch wird anschliessend auf die Walfangdistrikte verteilt. Wenn man bedenkt, dass von dessen Verzehr aufgrund diverser Schadstoffe wie Quecksilber abgeraten wird, überzeugt die Argumentation der Nahrungsmittelversorgung nicht wirklich, um eine solch bestialische Tradition aufrechtzuerhalten. Ganz zu schweigen von der Auslegung als färöisches Kulturgut.
In die Kategorie der Touristenattraktionen gehört sodann die höchst umstrittene Stierhatz von Pamplona. Dabei werden fern von jeglicher Sozialisierung mit Menschen oder anderen Tieren gehaltene Stiere durch eine feierlustige Menschenmenge gepfercht – damit sie verwirrt und verängstigt gegen eine Mauer rennen und sich die Knochen brechen. Für Unterhaltung sorgen zudem Stierkämpfe. Ja, noch immer. Einmal mehr als Kulturgut getarnt, finden die «Duelle» zwischen Stier und Torero in Spanien, Portugal und Südfrankreich statt.
Apropos Stier: Ist sein weibliches Pendant nicht die Kuh? Und sind wir Schweizer nicht ein Volk von Kühen? Immerhin werden hierzulande 680 600 Kühe gehalten (bei einem Rindviehbestand von 1,5 Millionen). Die allermeisten von ihnen leben – entgegen der uns häufig in der Werbung verkauften Idylle – in Ställen unter Haltungsbedingungen, die alles andere als tiergerecht sind. Einige wenige haben das Glück, den Sommer auf einer Alp verbringen zu dürfen. Von diesen haben einige wiederum Pech. Nämlich jene, die zur Rasse der Eringer gehören und deshalb womöglich zur Teilnahme an einem der traditionellen Walliser Kuhkämpfe erkoren werden. Diese finden in der Regel im Rahmen des Alpaufzugs statt. Im Vorfeld wird die Hierarchie ausgemacht, die es dann während des Sommers zu behaupten und in der Folge im Ring zu verteidigen gilt. Eingeteilt nach Alters- und Gewichtsklassen und angespornt von Züchtern und Zuschauerinnen, müssen die Kühe aufeinander losgehen. Dies stelle ihr natürliches Verhalten dar, behaupten manche im Wallis. Dass die Aufeinandertreffen regelmässig Verletzungen zur Folge haben, wird gerne verschwiegen.
Und wer glaubt, tierisches Brauchtum spiele sich nur auf dem Land ab, der täuscht sich. Denn auch beim grössten Schweizer Frühlingsfest, dem Zürcher Sechseläuten, sind Tiere mit dabei, genauer gesagt: Pferde. Wohin das Auge reicht. Zunächst als Teil des durch die Massen ziehenden Umzugs. Und dann natürlich beim Ritt rund um den Böögg, umgeben von noch mehr Menschen. Die Tiere finden sich insgesamt in äusserst ungewohnten Bedingungen wieder. Oder kennen Sie etwa Pferdeställe, in denen es brennt, raucht und chlöpft? Dass die Tiere aus Stress und Unwohlsein zu schwitzen und schäumen beginnen, erstaunt kaum. Um sie «volksfesttauglich» zu machen, werden die eigentlichen Fluchttiere deshalb nicht selten sediert. Im Jahr 2015 starb ein Tier während des Umritts. Einmal mehr ist der Grat zwischen Brauch und Missbrauch sehr schmal.
Veröffentlicht am 12. Mai 2023
Wie ist das eigentlich mit den Tierversuchen?
Auch wenn wir sie nicht sehen, wissen wir doch alle, dass sie stattfinden. Es sei denn, man verschliesst absichtlich die Augen vor der Realität. Das wäre ignorant – widerspiegelt jedoch eine Haltung, die gerade im Umgang mit Tieren sehr verbreitet ist. Man denke nur an das Tragen von Pelz oder Leder. Oder den masslosen Konsum tierischer Lebensmittel zweifelhafter Herkunft. Aber das sind andere Baustellen. Die Rede ist im Folgenden von Tierversuchen.
Und die Sache ist kompliziert. Denn selbst wer sich näher auf das Thema einlässt, verfügt meist nur über wenig wirklich detaillierte Informationen zum Ganzen. Die Gründe hierfür liegen mitunter in der fehlenden Transparenz der Pharmabranche, was eine kritische Berichterstattung und damit auch eine öffentliche Debatte erschwert. Kommt es dennoch zu Diskussionen, sind die Meinungen oft bereits gemacht – etwa durch Bilder kranker Menschen, die suggerieren, dass diese nur durch fortdauernde Tierversuche eine Chance auf Heilung haben.
Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn ja, an Tieren wird aus medizinischen Zwecken experimentiert. Aber diese Versuche stellen nur einen Bruchteil aller hierzulande durchgeführten Tierexperimente dar. Die Zahlen der alljährlich vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) publizierten Tierversuchsstatistik veranschaulichen dies:
Im Jahr 2021 wurden rund 575 000 Tiere für Versuche eingesetzt. Als Tierversuch gilt von Gesetzes wegen jede Massnahme, bei der lebende Tiere verwendet werden, um ein wissenschaftliches Ergebnis zu erzielen. Ein weit gefasster Begriff also. Darunter fällt nicht nur die Überprüfung bestimmter Stoffe und deren Wirkung auf die Tiere. Gemeint sind auch die Lehre sowie Aus- und Weiterbildungen, zum Beispiel von Studenten der Veterinärmedizin oder angehenden Forscherinnen. Und nicht zu vergessen: die Verhaltensforschung am Tier selbst.
Mehr als die Hälfte der registrierten Versuche (342 867) fällt dabei in die Kategorie «Grundlagenforschung». Dabei wird an den Tieren geforscht, jedoch kein direkter wissenschaftlicher Nutzen angestrebt. Anders ausgedrückt: Eine Erkenntnis ist ungewiss. Das sind ganz schön viele Tiere, die ihr Leben lassen müssen, damit mal geschaut werden kann, was herauskommt, wenn man dies oder jenes mit ihnen macht. Die Tiere werden, nachdem ihnen durch die Versuche nicht selten erhebliches Leid zugefügt wurde, getötet. Sofern sie nicht bereits während der Experimente gestorben sind.
Ebenfalls interessant ist ein Blick auf die Tierarten. Angeführt wird die Rangliste 2021 einmal mehr von Mäusen: 369 436 mussten ihr Leben für die Forschung lassen. Dahinter folgen 74 629 Vögel, 49 976 Ratten, 34 450 Fische und 16 210 Amphibien und Reptilien. Damit ist aber noch lange nicht genug. Auch Nutztiere wie Tiere der Rindergattung (9891), Schweine (4538), Schafe und Ziegen (3965) sowie Pferde und Esel (2306) sind auf der Liste zu finden. Und wer meint, dass unsere geliebten Heimtiere verschont bleiben, der liegt falsch. So wurden im Jahr 2021 3045 Hunde, 1256 Kaninchen und 301 Katzen für Versuche eingesetzt. Zu erwähnen sind nicht zuletzt die 245 Primaten. Diese Zahlen sind meiner Meinung nach enorm. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Medizin für zahlreiche Krankheiten bis heute noch kein Heilmittel entwickeln konnte.
Wir wissen, Tiere sind keine Menschen. Dennoch geht man offensichtlich von Folgendem aus: Was für Tiere ungefährlich und wirksam ist, ist auch für Menschen ungefährlich und wirksam. Demnach fühlt beispielsweise ein Schwein offenbar das Gleiche wie ein Mensch, wenn ihm dasselbe Medikament verabreicht wird. Und dennoch werden Schweine millionenfach geschlachtet. Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Das «Mit-Fühlen» dient primär dem menschlichen Nutzen und hat mit Mitgefühl nur sehr wenig gemeinsam.
Und nun fragen Sie sich vielleicht, was man dagegen tun kann. Leider nicht sehr viel. Denn Tierversuche sind gesetzlich erlaubt. Immerhin sind sie umfassend reglementiert. Vorgesehen ist insbesondere, dass sie nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit bedeutende Ergebnisse für Mensch und Tier erbracht werden können. Ausserdem sind Alternativen zu Tierexperimenten (beispielsweise durch die Verwendung von Zellkulturen oder Computersimulationen), die Herabsetzung der Anzahl verwendeter Tiere sowie eine Reduktion der Belastungen anzustreben – einmal mehr: Mustervorschriften, die unsere Tierschutzgesetzgebung als international einzigartig erscheinen lassen. Nur schade, dass die Reglementierung nichts bringt, wenn sie nicht umgesetzt wird. Man denke an die oben erwähnte Grundlagenforschung, die allen Bestimmungen zum Trotz in grosser Zahl betrieben wird.
Dass es bei der Umsetzung gewaltig hapert, bestätigt auch die Tatsache, dass schweizweit weniger als ein Prozent aller beantragten Versuche abgelehnt werden. Über die entsprechenden Gesuche entscheiden die kantonalen Tierversuchskommissionen, in die neben Vertretern der Forschung auch solche aus dem Tierschutz zwingend Einsitz haben müssen. Allerdings bleibt deren Einfluss häufig gering, da sie stets in der Minderheit sind. Hinzu kommt, dass Bund und Kantone die tierexperimentelle Forschung – trotz der mittlerweile auch in Wissenschaftskreisen bestehenden Skepsis an der systematischen Nutzenabwägung – nach wie vor mit zweistelligen Millionenbeträgen unterstützen.
Dem Einzelnen bleibt also nur, Bestrebungen für eine konsequentere Umsetzung der Tierschutzgesetzgebung zu unterstützen. Ausserdem hat man als Konsumentin stets die Wahl, sich zumindest beim alltäglichen Bedarf für tierversuchsfreie Produkte zu entscheiden. Dies gilt gleichermassen für Putzmittel oder das für unsere geliebten Heimtiere speziell hergestellte Futter. Und auch beim Einkauf von Kosmetika sollte man die Regale mit offenen Augen durchstöbern. Zwar ist der Vertrieb verboten, wenn zur Herstellung entsprechender Produkte Tierversuche stattfanden. Aber die Ausnahmen sind auch hier gewiss.
Veröffentlicht am 14. März 2023
Über den Sinn und Unsinn des Veganuary
Da wären wir also wieder einmal im Januar. Dem Monat der guten Vorsätze. Und Vorsätze führen seit einigen Jahren zu sogenannten Challenges. Von der Ausmist-, Yoga- oder Low-Carb-Challenge bis zum Social-Media-Detox- oder dem Dry-January ist alles dabei. Persönlich halte ich nicht sehr viel von solchen Vorhaben. Einerseits, weil sie nicht selten unrealistisch sind, andererseits, weil sie oftmals zu einem Jo-Jo-Effekt führen, der den Schlamassel nur noch grösser macht.
Und genau das ist es, was mich am derzeit gehypten «Veganuary» stört. Egal, wo man hinschaut – auf Plakatwände, in Zeitungen, in die sozialen Medien und insbesondere in die Regale der Verkaufsläden: Vegane Alt- und Neuheiten sind allgegenwärtig. Und die passenden Rezepte finden sich etwa in Coop- und Migros-Zeitungen, die ihre Seiten vor Kurzem gerade noch mehrheitlich der Zubereitung von Fisch und Fleisch gewidmet hatten.
Denn da war ja Weihnachten. Ein Fest, das wir Schweizerinnen und Schweizer speziell gerne zum Anlass nehmen, um ohne Rücksicht auf Verluste masslos über die Stränge zu schlagen. Schliesslich haben wir Schwerstarbeitenden uns das mehr als verdient, oder etwa nicht? Und als Belohnung darf es nicht nur von allem sehr viel, sondern auch etwas Exquisites sein. Man gönnt sich dann endlich mal eine Gänseleberterrine oder einen Hummer. Oder gar Austern? Bitte nicht! Oder ist es wirklich in Ordnung, den Gänsen ein Rohr in den Hals zu rammen, damit sie richtig schnell richtig fett werden? Kaum. Und die Hummer geniessen nach der langen Reise auf Eis auch nicht einfach ein Bad im kochenden Wasser – bei lebendigem Leibe. Eine Praxis, die hierzulande übrigens verboten ist, was leider trotzdem nicht alle kümmert. Und das Zucken der Austern ist tatsächlich ein Zeichen dafür, dass sie noch leben. Aber Herr und Frau Schweizer sind wirklich gut darin, die Liebe am Fest der Liebe zu ignorieren. Und selbst wenn das fürs Fondue Chinoise verwendete Fleisch mit fünf Labels verziert ist, glaubt nicht mal das Christkind, dass diese Tiere im Paradies zu Tode gestreichelt wurden.
Das schlechte Gewissen wegen der übertriebenen Schlemmerei, Trinkerei oder Schenkerei, das manche von uns im Januar einholt, entsteht dann aber häufig nicht wegen der Tiere. Seien wir ehrlich, meistens geht es dabei doch wieder um uns selbst. So auch beim Veganuary. Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Tierschutzherz macht Fünffachsaltos. Ein veganer Januar, was für eine Entwicklung! Ich bin sicher, dass sich immer mehr Fleischesser aufgrund solcher Trends auch mal auf ein veganes Schnitzel oder zumindest ein veganes Fischstäbli einlassen. Aber mein Tierschutzherz ist trotz diesen Fortschritten halt auch etwas geschunden. Denn selbst wenn die vegetarischen Nuggets womöglich weiterhin ihren Weg in den einen oder andern Einkaufskorb finden, ist auch hier der Jo-Jo-Effekt vorprogrammiert. Sei dies in Form von Gulaschsuppe in der Skihütte oder spätestens an Ostern, wenn die Lämmlein oder Gitzi verdrückt werden. Und komme was wolle: Im Sommer wird die Grillsaison wieder Einzug halten und mit ihr die Dominanz von Cervelat und Co. Und dann ist da ja auch noch die Wildsaison. Und schon haben wir wieder Weihnachten.Was für ein Kreislauf! Für die Tiere wortwörtlich.
Sind wir nicht eine Widerspruchsgesellschaft sondergleichen? Ohne Rücksicht auf Verluste wird Ende des Jahres zugeschlagen, um im Januar zu beweisen, dass man doch vernünftig, mitfühlend, nachhaltig ist – bevor es wieder von vorn losgeht. Wie wäre es zur Abwechslung mit einem moderaten Umgang mit allem, das uns im Übermass zur Verfügung steht? Und vielleicht findet sich für diesen Überschuss ja irgendwann doch noch eine sinnvollere Verwendung.
Veröffentlicht am 19. Januar 2023