Konsumentenbetrug "Besonders tierfreundliche Stallhaltung" von Masthühnern
Die SRF-Sendung "Kassensturz" hat gestern einen Blick hinter die Kulissen des Tierwohlprogramms "BTS" geworfen. Die "besonders tierfreundliche Stallhaltung" verspricht weit mehr als sie halten kann. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat bereits vor zwei Jahren in einem detaillierten Rechtsgutachten auf diesen Missstand aufmerksam gemacht.
02.06.2021
Die entsprechenden
Zuchtlinien sind wegen ihrer gravierenden Auswirkungen auf die
Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere als in der Schweiz verbotene
Qualzucht zu definieren. Allerdings findet die eigentliche Zucht der
Tiere nicht direkt in der Schweiz statt, vielmehr werden diese in aller
Regel als frisch geschlüpfte Küken aus ausländischen Grossbrütereien in
die Schweiz importiert. Während die Dauer von Tiertransporten in der
Schweiz grundsätzlich auf acht Stunden beschränkt ist, dürfen Küken im
Rahmen des Imports bis zu 48 Stunden transportiert werden.
Die angepriesenen Tierwohlmassnahmen beabsichtigen, bedeutende Grundbedürfnisse der Tiere, etwa artgerechte Bewegung, Scharren, Picken und frische Luft, zu befriedigen. Sie gehören damit nicht als besondere Leistung honoriert, vielmehr stellen sie das Mindestmass einer tierschutzkonformen Hühnerhaltung dar, die nach den tierschutzrechtlichen Grundsätzen (so etwa nach Art. 6 Abs. 1 TSchG) zu beachten sind. Durch den Einsatz defektgezüchteter Tiere und die Duldung hoher Tierbestände und Tierdichten verkommen die sogenannten Tierwohlmassnahmen indessen zur gravierenden Tierquälerei, wie auch die in der Sendung "Kassensturz" vom 1. Juni 2021 gezeigten Bilder eines Kontrolleurs zweifelsohne belegen.
Im Auftrag der Tierrechtsorganisation Tier-im-Fokus untersuchte die TIR in den Jahren 2018/2019 die rechtlichen Vorgaben und die Praxis des BTS-Systems im Bereich der Masthuhnhaltung eingehend. In ihrem Rechtsgutachten kam sie zum Schluss, dass in BTS-Haltungen grundlegende Prinzipien des Tierschutzrechts systematisch missachtet und ausgehöhlt werden. Dennoch erhalten entsprechende Betriebe ungerechtfertigterweise staatliche Fördermittel für besondere Tierwohlleistungen im Sinne einer "besonders naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Produktionsform" gemäss Art. 104 Abs. 3 lit. b der Bundesverfassung. Hinzu kommt, dass nach BTS produzierte Lebensmittel im Rahmen der Vermarktung mit "besonders tierfreundlich" deklariert werden dürfen. Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen im Glauben, besonders tierfreundlich hergestellte Fleischwaren zu erwerben, einen höheren Preis und werden somit in die Irre geführt. Die Masthuhnhaltung gemäss dem Tierwohlprogramm BTS widerspricht nicht nur den Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten, sie verstösst auch in gravierender Weise gegen die verfassungsmässig geschützte Tierwürde.
Der Bundesrat verwies in seiner Stellungnahme zur Interpellation 18.3320 "Hühnerschwindel. Welche Konsequenzen ziehen?" von Nationalrätin Irène
Kälin (GPS/AG) auf die Verantwortung der Tierhaltenden und sieht keinen
Handlungsbedarf. Als Antwort auf die Motion 21.3404 "Keine Qualzuchten in der Hühnermast" von Nationalrätin Meret Schneider (GPS/ZH)
argumentierte der Bundesrat mit der Preisfrage: Eine den Bedürfnissen
der Tiere besser entsprechende Fleischgewinnung wäre für die
Konsumentenschaft mit höheren Preisen verbunden – und dies sei nicht
gewollt und fördere deshalb den Import billigerer Ware aus dem Ausland.
Das Parlament hat sich mit diesen Fragen bislang nicht
auseinandergesetzt und die Vorstösse im Plenum nicht behandelt.
Ein
Umdenken ist auf mehreren Ebenen dringend notwendig: Die Vorgaben des
staatlich unterstützten Produktionssystems im Bereich der Geflügelmast
sind deutlich zu verschärfen, insbesondere ist konsequent auf den
Einsatz schnell wachsender Zuchttiere zu verzichten und sind die
Tierbestände signifikant zu verringern. Verstösse gegen die Grundsätze
der Tierschutzgesetzgebung sind nicht länger als Bestandteil der Mast zu
akzeptieren und mittels Verordnung zu legitimieren, sondern strikt zu
sanktionieren. Im Weiteren ist der Import von Produkten, die im Ausland
unter tierquälerischen Bedingungen erzeugt werden, zu regulieren. Nicht
zuletzt hat der Bund wirkungsvolle Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung
zu leisten: Regelmässiger Fleischgenuss ist nur auf Kosten des Tierwohls
möglich, weshalb eine drastische Senkung des Konsums unvermeidbar ist.
Stattdessen
unterstützt der Bund jedoch die Vermarktung von Schweizer Fleisch mit
jährlich rund sechs Millionen Franken zusätzlich im Rahmen der
Absatzförderung, vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrats zur
Anfrage 20.1085 "Werbung für Schweizer Fleisch oder sachliche Konsumenteninformation?" und zur Interpellation 20.4176 "Absatzförderung für Schweizer Fleisch im Widerspruch zu den Verfassungszielen zur Ernährungssicherheit?", beide eingereicht von Nationalrat Kilian Baumann
(GPS/BE). Die bereits früher eingereichte Parlamentarische Initiative 15.493 "Keine Subventionen für Fleischwerbung" von Nationalrat Beat Jans
(SP/BS) blieb ebenso erfolglos wie eine von Tier-im-Fokus eingereichte
Petition. Mit entsprechend finanzierter Werbung, in der das Tierwohl als
Hauptargument für den Genuss von Schweizer Fleisch herhalten muss,
lässt sich eine Reduktion des Fleischkonsums in der Schweizer
Bevölkerung allerdings kaum bewerkstelligen.
Die TIR fordert Behörden, Bundesrat und Parlament auf, dem Schutz von Tieren wirkungsvoll Nachachtung zu verschaffen. Seit einigen Jahren werden vermehrt Eidgenössische Volksinitiativen lanciert, die einen respektvollen Umgang mit Tieren und der Natur nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion verlangen. Es sind dies ernstzunehmende Zeichen aus der Bevölkerung, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Konsumentinnen und Konsumenten empfiehlt die TIR, auf pflanzliche Nahrungsmittel zurückzugreifen und so zur Verminderung von Tierleid beizutragen.
Weitere Informationen:
- Fraude envers les consommateurs « systèmes de stabulation particulièrement respectueux des animaux » des poulets de chair
- Kassensturz vom 1. Juni 2021
- TIR-Rechtsgutachten zur BTS-Masthuhnhaltung
- TIR-Newsmeldung vom 17. April 2019: TIR wirft kritischen Blick auf die Schweizer Hühnermast,
- TIR-Newsmeldung vom vom 2. April 2021: Eierkonsum auf neuem Höchststand - Tierwohl bleibt auf der Strecke
- TIR-Newsmeldung vom vom 19. März 2019: TIR kritisiert unzureichenden rechtlichen Schutz für Hühner
- TIR-Medienmitteilung vom 2. Februar 2018: Hühner-Schwindel: Jetzt werden die Verantwortlichen angezeigt
- Hühner-Schwindel
- Interpellation 15.3316 "Staatliche Fleischwerbung im Widerspruch zum Ressourcenschutz" von Nationalrat Beat Jans (SP/BS)
- Nora Flückiger/Stefanie Walther, Tierschutzstrafpraxis 2016 (mit besonderem Fokus auf dem Umgang mit Hühnern)
- Zürcher Tierschutz, Das Masthuhn – ein Bodybuilder
- Label-Bewertung des Schweizer Tierschutz STS