Zum Tag des Geflügels: TIR kritisiert unzureichenden rechtlichen Schutz für Hühner
In der Schweiz werden jährlich etwa 65 Millionen Hühner aufgezogen und geschlachtet. Zudem hat der Eier-Verbrauch in der Schweiz mit gemäss offiziellen Schätzungen mehr als 1.5 Milliarden Stück im Jahr 2018 einen neuen Rekord erreicht. Trotz dieser horrenden Zahlen sind die Umstände, unter denen die Tiere gehalten und getötet werden, in der Öffentlichkeit kaum je ein Thema. Dabei treten gerade bei der Geflügelzucht und -haltung sowie im Rahmen der Eierproduktion besonders schlimme Auswüchse zutage. Auch die für den Vollzug der Tierschutzgesetzgebung zuständigen Behörden widmen Hühnern leider oftmals nicht die notwendige Aufmerksamkeit.
19.03.2019
Die Hochleistungszucht und die Haltungsbedingungen führen dazu, dass bei Masthühnern vielfach schmerzhafte Gelenkschäden sowie Geschwüre und Entzündungen an den Füssen auftreten. Gemäss Angaben der Geflügelbranche sterben bis zu vier Prozent der Tiere bereits vor der Schlachtung. Bei Legehennen kommt es zudem oftmals zu Knochenbrüchen infolge Kalziummangels sowie zu Eileiterentzündungen.
Das Tierschutzrecht schreibt Tierhaltenden unter anderem vor, dass sie das Befinden ihrer Tiere regelmässig zu überprüfen haben. Kranke oder verletzte Tiere müssen unverzüglich ihrem Zustand entsprechend untergebracht, gepflegt und behandelt oder tierschutzkonform getötet werden. Im Rahmen einer Haltung von mehreren Tausend Tieren ist es aber kaum möglich, dem einzelnen Tier gerecht zu werden. Dies, obwohl Hühner gleichermassen vom Geltungsbereich des Tierschutzrechts erfasst sind wie alle anderen Wirbeltiere. Ihr Wohlergehen und ihre Würde sind ebenso geschützt wie etwa jene von Hunden, Katzen oder Rindern. Hühner sind um ihrer selbst willen in ihrem Eigenwert zu respektieren und nicht als blosse Ware zu behandeln.
Deshalb hat die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) im Februar 2018 gestützt auf Videomaterial, das von der Organisation Tier im Fokus veröffentlicht wurde, letztlich Strafanzeigen gegen vier Hühnermastbetriebe eingereicht (vgl. TIR-Newsmeldung vom 2. Februar 2018). Sowohl im Kanton Freiburg als auch im Kanton Bern entschied die jeweilige Staatsanwaltschaft, dass die in den Videoaufnahmen gezeigten Szenen der Realität der aktuellen Geflügelmasthaltung entsprechen.
Im Rahmen der Eierproduktion werden in der Schweiz zudem jedes Jahr rund zwei Millionen männliche Küken an ihrem ersten Lebenstag als "industrieller Abfall" vergast oder geschreddert, da sie keine Eier legen und somit für die Produzenten "wertlos" sind. Da die einseitig auf höchste Legeleistung ausgerichteten Tiere nur wenig Fleisch ansetzen, sind sie zudem auch für die Mast nicht interessant. Dieses höchst fragwürdige Vorgehen in der Eierproduktion widerspricht klar dem in der Bundesverfassung wie auch im Tierschutzgesetz verankerten Prinzip des Schutzes der Tierwürde. Durch das Töten der Küken als unerwünschtes Nebenprodukt wird deren Eigenwert vollständig missachtet. Dennoch wird die Praktik von der Tierschutzverordnung erlaubt.
Um solchen lebensverachtenden Auswüchsen im Umgang mit Tieren entgegenzuwirken, macht sich die TIR schon seit Jahren auf politischer Ebene sowie im Rahmen von Fachpublikationen und Ausbildungsveranstaltungen für eine konsequente Umsetzung des Schutzes der Tierwürde stark. Nur wenn die politischen Entscheidungsträger und die Behörden genügend für die Thematik sensibilisiert sind, kann dem Tierwürdekonzept tatsächlich zum Durchbruch verholfen werden.
Im Frühling 2019 wird die TIR zudem ein Gutachten über die Schweizer Hühnermast und ihre Produktionsbedingungen unter BTS-Standard publizieren. Dieses zeigt auf, dass die Lebensbedingungen der betroffenen Tiere durch BTS nicht entscheidend verbessert werden, vielmehr begünstigt dieses System den Einsatz von schnell wachsenden Qualzuchthühnern – mit fatalen Folgen. Der Bund verfehlt damit seinen Verfassungsauftrag der Förderung naturnaher und tierfreundlicher Produktionsformen.
Weitere Informationen:
- Tierschutzstrafpraxis 2016: TIR-Analyse zeigt massive kantonale Unterschiede bei der Verfolgung von Tierschutzdelikten und einen fast inexistenten Tierschutzstrafvollzug im Bereich der Nutzhuhnhaltung
- TIR-Informationsflyer Nr. 40 "Unzureichender rechtlicher Schutz für Hühner"
- TIR-Strafanzeigen vom 2. Februar 2018 "TIR reicht Strafanzeigen wegen Tierschutzverstössen in der Hühnermast ein"
- TIR-Informationsflyer Nr. 26 "Stopp dem Kükentöten"