Strafrechtspflege
Allgemeines
Das öffentliche Interesse an der Verurteilung von Straftätern, die gegen das Tierschutzrecht verstossen haben, ist ebenso gross wie das Unverständnis über die in der Praxis relativ häufigen Verfahrenseinstellungen oder Freisprüche.
Diese haben ihre Gründe jedoch keineswegs immer nur in einer vermeintlich tierfeindlichen Haltung der urteilenden Gerichte, sondern lassen sich auch auf die Eigenheiten der Strafrechtspflege zurückführen.
Rechtliche Erfassung
Seit 1. Januar 2011 ist die eidgenössische Strafprozessordnung in Kraft, die die bisher geltenden kantonalen Strafprozessordnungen abgelöst hat. Nach Art. 301 Abs. 1 StPO kann jeder schriftlich oder mündlich bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige einreichen. Die Strafbehörden trifft ein Verfolgungszwang. Erfahren sie von einer Straftat oder von auf eine Straftat hinweisenden Verdachtsgründen, müssen sie zwingend ein Strafverfahren einleiten (Art. 7 Abs. 1 StPO).
Das Vorverfahren nach Art. 299ff. StPO wird in der Regel durch die Aufnahme der Ermittlungstätigkeit der Polizei eröffnet (Art. 300 Abs. 1 lit. a StPO). Geht eine Strafanzeige direkt bei der Staatsanwaltschaft ein, kann die Untersuchung auch ohne ein vorgängiges Ermittlungsverfahren eingeleitet werden (Art. 300 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO). Im Vorverfahren werden im Allgemeinen aufgrund des Verdachts auf eine Straftat Ermittlungen getätigt und Beweise gesammelt, um über das weitere Vorgehen (Strafbefehl, Anklage, Einstellung des Verfahrens) zu entscheiden (Art. 299 Abs. 2 StPO). Die Polizei stellt im Ermittlungsverfahren unter anderem Spuren und Beweise sicher, ermittelt und befragt Geschädigte und Tatverdächtige und kann letztere unter Umständen auch festnehmen oder nach ihnen fahnden (Art. 306 Abs. 2 StPO). Sie übermittelt ihre Berichte nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (Art. 307 Abs. 3 StPO). Hiervon wird abgesehen, wenn weitere Verfahrensschritte der Staatsanwaltschaft nicht notwendig sind und keine Zwangsmassnahmen oder Ermittlungshandlungen durchgeführt worden sind (Art. 307 Abs. 4 lit. a und b StPO).
Nach der Übermittlung des Berichts an die Staatsanwaltschaft führt dieses eine Untersuchung durch (Art. 309 i.V.m. Art. 311ff. StPO) oder erlässt oder eine Nichtanhandnahmeverfügung (Art. 310 StPO) . Anschliessend an eine Untersuchung erfolgt entweder die Einstellung des Verfahrens (Art. 319ff. StPO) oder – wenn sich der Tatverdacht erhärtet hat und die Staatsanwaltschaft keinen Strafbefehl erlassen kann – die Anklageerhebung beim zuständigen Gericht (Art. 324ff. StPO). Durch den Eingang der Anklage beim Gericht wird das erstinstanzliche Hauptverfahren eröffnet (Art. 328 Abs. 1 StPO). Die Durchführung der Hauptverhandlung richtet sich nach Art. 335ff. StPO.
Bei Tierschutzfällen kommt einer eindeutigen Dokumentation der strafbaren Handlung bereits durch Zeugen bzw. im Verlauf des Untersuchungsverfahrens grosse Bedeutung zu. Vorzugsweise sollten die Untersuchungsbehörden bei Verdacht auf Tierquälerei für die Beweissicherung bereits in einem frühen Ermittlungsstadium Experten und einen auf die betreffende Tierart spezialisierten Amtstierarzt aufbieten, der die veterinärmedizinische Untersuchung am Tatort durchführt und entsprechende Zeugnisse ausstellt.
Viele Tierschutzdelikte bleiben unbestraft, weil sie unbemerkt stattfinden oder trotz Kenntnis keine Strafanzeige erstattet wird. Nicht selten wird überdies bei Entgegennahme der Anzeige durch die Polizei das sogenannte Opportunitätsprinzip überdehnt und ein Tierschutzdelikt als Bagatelle ad acta gelegt. Im Strafprozess selbst herrscht nach heutiger Rechtslage Waffenungleichheit: Während der Angeschuldigte sämtliche Verfahrensrechte ausschöpfen kann, steht dem geschädigten Tier kein eigentlicher Parteivertreter zur Seite. Die Staatsanwaltschaft, die im Hauptverfahren als Gegenpartei des Angeklagten auftritt, vertritt in erster Linie die Interessen des Staates, nicht des betroffenen Tieres, und hat damit objektiv dem rechtlichen Tierschutz Genüge zu leisten. Als echter Parteivertreter wäre etwa ein Tieranwalt oder eine vergleichbare spezialisierte Behörde zu werten. Ein weiterer Lösungsansatz bestünde im Verbandsklagerecht durch hierfür legitimierte Tierschutzorganisationen.