Brandschutzmassnahmen könnten Leben retten – eine Chronologie der Bemühungen zum Schutz landwirtschaftlich gehaltener Tiere aus Sicht der TIR
Regelmässig sterben Tiere auf grausame Weise durch Brände in landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetrieben. Betroffen sind jährlich hunderte, letztes Jahr sogar rund 1000 Tiere, die für menschliche Nahrungszwecke gezüchtet und gehalten werden. Die Risiken sind längst erkannt, dennoch fehlen bis heute griffige Vorgaben für Präventions-massnahmen, die Leben retten könnten. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) macht den Bund gemeinsam mit sieben weiteren Organisationen in einem offenen Brief erneut auf seine Verantwortung aufmerksam.
17.05.2024
Seit 2018 beobachtet die TIR die Medienberichterstattung in Bezug auf Brandfälle in landwirtschaftlichen Tierhaltungen. Die Analyse der Hintergründe und Präventionsmöglichkeiten ergab, dass es sich um ein ebenso komplexes wie vernachlässigtes Thema handelt. Zuständig für den Schutz von Mensch und Tier vor Feuer ist in erster Linie die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF), eine Institution, die schweizweit gültige Brandschutzvorschriften (BSV) erarbeitet. Diese werden vom Interkantonalen Organ Technische Handelshemmnisse (IOTH) für die ganze Schweiz als verbindlich erklärt und in Kraft gesetzt. Die Umsetzung der Vorschriften erfolgt durch die Kantone.
Die VKF-Brandschutznorm hält fest, dass die Vorschriften den Schutz von Personen, Tieren und Sachen bezwecken und dass Bauten und Anlagen so zu erstellen, zu betreiben und instand zu halten sind, dass die Sicherheit von Personen und Tieren gewährleistet ist, der Entstehung und Ausbreitung von Bränden vorgebeugt wird und eine wirksame Brandbekämpfung möglich ist. Festgehalten wird darin auch, dass die Anforderungen an den Brandschutz von diversen Faktoren abhängig sind, etwa von der Bauart, der Nutzungsform und den verwendeten Materialien. Tierstallungen bergen aufgrund ihrer Bauweise, des tierartspezifischen Verhaltens und der oftmals hohen Tierzahlen im Brandfall besondere Risiken für die gehaltenen Tiere. Entsprechend hoch müssen die Anforderungen an effektive Präventionsmassnahmen zum Schutz dieser Tiere angesetzt werden.
Obschon der Schutz von Tieren in der die Grundlage bildenden Brandschutznorm ausdrücklich verankert ist, fehlen in den präzisierenden Brandschutzrichtlinien jedoch griffige Bestimmungen hierfür. Im Gegenteil: Vorgaben zu Brandabschnitten und Brandmauern bestehen nur in Bezug auf Wohnflächen zum Schutz von Personen, nicht jedoch bezüglich der den Flammen im Brandfall vollkommen ausgelieferten Tieren. Fluchtwege sind ausschliesslich für Ställe mit einer Grundfläche von mehr als 200m2 vorgeschrieben – und selbst diese müssen lediglich zwei für die Evakuierung von Nutztieren zweckmässig angeordnete, genügend gross dimensionierte Ausgänge mit in Fluchtrichtung öffnenden Türen aufweisen. Dabei wird dem tierartspezifischen Panik-Verhalten bei ausbrechendem Feuer oder starker Rauchentwicklung jedoch keinerlei Rechnung getragen. Insbesondere angesichts der hohen Tierzahlen (bis zu 300 Kälber, 1500 Schweine oder 18‘000 Hühner pro Betrieb), die durch die Höchstbestandesverordnung auf Bundesebene ausdrücklich als zulässig erachtet werden, reicht diese minimale Vorgabe in keiner Weise aus. Im Brandfall sind die betroffenen Tiere der Katastrophe, die häufig in einem grausamen Erstickungstod endet, hilflos ausgeliefert. Darüber hinaus entsprechen Konstruktion und Technik von Stallanlagen regelmässig vorwiegend ökonomischen und praktischen Kriterien, während sie bei einem Brand schnell versagen. So stürzen aufgrund der Bauweise gerade bei grossen Hallen für Hühner oder Schweine oftmals ganze Teile der Dachkonstruktion ein und verhindern so, dass die Feuerwehr das Gebäude betreten und Tiere retten kann. In solchen Fällen müssen die Einsatzkräfte tatenlos zusehen, wie noch lebende Tiere auf grausame Weise in den Flammen sterben.
Eine offizielle Statistik zu Stallbränden oder betroffenen Tieren fehlt bislang. Allein aufgrund der Medienberichterstattung zeigt sich jedoch, dass jährlich mehrere hundert Tiere in Stallbränden ums Leben kommen. Durch geeignete Brandschutzmassnahmen könnte ein erheblicher Teil dieser Tiere gerettet werden. Die Recherchen der TIR – mit Unterstützung von Kantonsrätin Nathalie Aeschbacher (ZH/GLP) und Landrat Marco Agostini (BL/Grüne) – haben gezeigt, dass eine effektive Prävention zum Schutz von Tieren allerdings eine hochkomplexe Angelegenheit ist. Es ist daher auf verschiedenen Ebenen anzusetzen: Beim Brandschutz wird zwischen baulichen, technischen und organisatorischen Massnahmen unterschieden, sie alle sind bei der Realisierung von Tierstallungen dringend miteinzubeziehen.
TIR, PETA Schweiz und der Schweizer Tierschutz STS haben sich 2020/2021 an die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF gewandt, um im Rahmen der Überarbeitung der schweizweit gültigen Brandschutzvorschriften mitzuwirken, sodass dem Schutz von Tieren – neben jenem von Personen und Gebäuden – künftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Obschon u.a. die TIR in den Pool von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten für die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen des Projektes BSV 2026 aufgenommen wurde, war es bereits zu spät, um grundlegende Veränderungen herbeizuführen.
Bedauerlicherweise wurden die Schutzziele vom IOTH erneut ohne Einbezug
des Tierschutzes genehmigt, sodass für Anforderungen zugunsten der
Tiere in den ab 2026 in Kraft tretenden Brandschutzvorschriften
weiterhin kein Platz sein wird.
Die VKF hat den Handlungsbedarf allerdings erkannt und in einem
Schreiben an das zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und
Veterinärwesen (BLV) festgehalten, dass der Erlass von tierspezifischen
Brandschutzvorschriften Sache der für das Tierwohl verantwortlichen
Verwaltungsstellen des Bundes sei. Sie erklärte sich zudem bereit, ihre
Brandschutzexpertise in den Rechtsetzungsprozess einzubringen. TIR hat
indessen im Rahmen der Vernehmlassung zur Teilrevision der
Tierschutzverordnung erneut für einen stärkeren Brandschutz plädiert und
eine entsprechende Eingabe beim BLV eingereicht.
Der Bund hat
all diese Bemühungen bislang leider nicht ernst genommen und die
Verantwortung an die Kantone abgeschoben. In Beantwortung des Postulats 24.3030 "Tierspezifische Brandschutzvorschriften für Ställe" von
Nationalrätin Anna Giacometti (FDP/GR) schreibt der Bundesrat sogar, der
Bund verfüge über keinerlei Ermächtigung zum Erlass adäquater,
tierspezifischer Brandschutzvorschriften. Dieser Auffassung ist vehement
zu widersprechen. Auch wenn der Feuerschutz im Allgemeinen primär eine
kantonale Aufgabe darstellt, ist der Bund gemäss Art. 80 Abs. 1 BV zum
Erlass von Vorschriften über den Schutz der Tiere verpflichtet.
Insbesondere im Bereich der Tierhaltung hat der Bund nach Art. 80 Abs. 2
lit. a BV legislatorisch umfassend tätig zu werden. Wenn besondere
Gefahren – so etwa die tendenziell zunehmende Brandgefahr – erkannt
werden, ist es Sache des Bundes, den Schutz der Tiere zu gewährleisten.
Dies gilt ganz besonders in Anbetracht des Umstands, dass der Bund
Massentierhaltungen explizit zulässt, die mit deutlich erhöhten Risiken
für das Leben, die Würde und das Wohlergehen der Tiere im
Katastrophenfall einhergehen.
Aufgrund der Weigerung des Bundes,
sich der Thematik anzunehmen und mit Blick auf den jüngsten
dramatischen Fall in Gossau (SG), in dem rund 800 Schweine einen
qualvollen Tod in den Flammen erlitten, haben sich mehrere
Organisationen zusammengeschlossen und einen offenen Brief an die
zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider verfasst, in dem sie
den dringenden Handlungsbedarf aufzeigen. Kann der Brandschutz in
Grossbetrieben durch bauliche, technische und organisatorische
Massnahmen nicht gewährleistet werden, ist diesem Umstand durch
drastisch verringerte Tierzahlen Rechnung zu tragen. Die Inkaufnahme des
unnötigen und grausamen Versterbens von landwirtschaftlich genutzten
Tieren ist unhaltbar.
Im Weiteren findet am Samstag, 18. Mai 2024
eine von der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TIF) organisierte
Mahnwache am Ort des Geschehens statt. Die Tierrechtsorganisation PETA
hat zudem eine Strafanzeige im Brandfall Gossau eingereicht, um
sicherzustellen, dass auch die Einhaltung der Garantenpflicht der
betriebsleitenden Person überprüft wird. Aus der Verantwortung des
Tierhalters für die unter seiner Obhut stehenden Tiere leitet sich
bereits gestützt auf die bestehende Rechtsgrundlage eine gewisse
Präventionspflicht ab. So stehen strafrechtliche Konsequenzen etwa dann
infrage, wenn die Stallabteile schwer zugänglich oder die Tierzahlen
besonders hoch sind, sodass eine Rettung der Tiere im Brandfall von
vornherein praktisch aussichtslos erscheint. Allerdings wird nach
entsprechenden Vorfällen aus Rücksicht auf die in ihrer
Existenzgrundlage direktbetroffenen Tierhaltenden in aller Regel auf
eine strafrechtliche Untersuchung verzichtet.
TIR und die sieben
mitunterzeichnenden Organisationen Schweizer Tierschutz STS, PETA
Schweiz, Tier im Fokus TIF, Animal Rights Switzerland, VIER PFOTEN
Schweiz, Sentience Politics und Animal Trust erachten es als
unabdingbar, die Tierhaltungsbestimmungen um effektive, tierspezifische
Brandschutzvorgaben zu erweitern. Es ist sehr wohl Aufgabe des Bundes,
im Rahmen seiner Schutzpflicht für Tiere (Art. 80 BV) und in Anbetracht
des Verfassungsprinzips der Würde der Kreatur (Art. 120 Abs. 2 BV) dafür
zu sorgen, dass Tiere, die für menschliche Interessen gezüchtet und
gehalten werden, vor kalkulierbaren Gefahren geschützt werden.