Zur „ethischen Vertretbarkeit“ von Tierversuchen leistet die Stiftung einen Diskussionsbeitrag an der FU in Berlin und plädiert für ein engeres Zusammenwirken von Recht und Tierethik
Anlässlich einer Klausurwoche an der Freien Universität (FU) in Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, bei Juniorprofessor Dr. Jörg Luy über die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen hat der Geschäftsleiter der Stiftung über „die ethische Vertretbarkeitsprüfung durch die Tierversuchskommission aus Sicht des Gesetzgebers“ referiert. Er hob vor der interdisziplinären Gruppe unter Hinweis auf den von ihm mitverfassten Kommentar Kluge zum deutschen Tierschutzgesetz hervor, dass es sich bei Tierversuchen um ein "repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt" handelt. Erheblich belastende Versuche sind unzulässig, wenn sie keine Ergebnisse für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier erwarten lassen.
07.09.2007
Selbst wenn der Versuchszweck Ergebnisse für wesentliche Bedürfnisse erwarten lässt, verbietet sich also die Genehmigung und Durchführung eines solchen Versuchs dann, wenn er dem Wirbeltier, entgegen § 7 Abs. 3 Satz 1, in nicht mehr ethisch vertretbarer Weise erhebliche Belastungen zufügt.
Bei transgenen Tieren ist das Risiko unvorhersehbarer Belastungen größer, weshalb nach der vom Referenten geäußerten Auffassung die Tiere während ihrer gesamten Lebenszeit zu beobachten sind, wegen der möglicherweise erst spät auftretenden Schäden unter Umständen gar über mehr als eine Generation hinweg. Seiner Auffassung nach hat es der Gesetzgeber ausdrücklich vermieden, schwere Leiden, die beim Menschen nach Intensität oder Dauer als unerträglich gelten müssten, selbst bei Versuchszwecken von hervorragender Bedeutung zuzulassen.
Vielmehr geht aus der Gesetzesberatung hervor, dass unerträgliche Leiden der Tiere unzulässig sind. Schwer belastende Versuche sind gleichbedeutend mit unverhältnismäßigem Leiden der Tiere und deshalb unzulässig (Goetschel, Rn 55 zu § 7, S. 211). Somit hat der Gesetzgeber nach Auffassung des Referenten eine oberste Grenze der Belastung gezogen, welche nicht überschritten werden darf.
Mit der ausdrücklichen Normierung eines ethischen Maßstabs gewinnt der
Grundsatz des ethischen Tierschutzes an rechtlicher Bedeutung, der in
allgemeiner Form in § 1 S. 1 TierSchG zum Ausdruck kommt.
Operationabel wird der Maßstab dabei durch einen Rückgriff auf die
Sozialmoral der Bevölkerung, die von der Rechtsprechung auch zur
Bestimmung anderer moraloffener Begriffe herangezogen wird. Was
gleichsam die Bevölkerung aufwühlt, wüsste sie davon - was sie
überwiegend ablehnen würde, ähnlich eines "ordre public"-Vorbehaltes
bei Staatsverträgen - gehört nicht bewilligt. Bei der Fruchtbarmachung
des Begriffs der "Sozialmoral der Bevölkerung" und des "ordre public"
bezüglich besonders tierbelastender Praktiken für die rechtliche und
ethische Debatte um Tierversuche besteht Nachholbedarf.