Newsletter TIR-Bibliothek: TIR präsentiert den Lesetipp
Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) stellt mit ihrem zweiten diesjährigen Bibliotheksnewsletter wiederum ausgewählte und aktuelle Neuzugänge vor. Präsentiert werden dabei Bücher, Artikel und Filmbeiträge zu tierrelevanten Themen. Im Fokus der aktuellen Ausgabe stehen die Geschichte der Milch, die Licht- und Schattenseiten der Milchindustrie und Europas Milchwirtschaft.
03.06.2022
Kühe mit Hörnern auf saftig-grünen Wiesen – noch immer wird dieses Bild
auf Milchpackungen oder in Werbefilmen gezeigt und der gutgläubigen
Konsumentenschaft damit suggeriert, dass die Milchlieferantinnen im
Allgemeinen ein glückliches Kuhleben geniessen. Seit Jahrzehnten wird
Milch als ein gesundes und natürliches Nahrungsmittel angepriesen, das
für unser Wohlbefinden essenziell sei. Die Organisation der Schweizer
Milchproduzenten (SMP) schreibt auf Ihrer Website www.swissmilk.ch, dass
die Inhaltsstoffe der Milch wie Kalzium, Milcheiweiss und Milchfett die
Menschen von Kindesbeinen an bis ins Seniorenalter mit allen wichtigen
Stoffen für unsere Gesundheit versorgen. Aber was bedeutet dies für das
Leben einer Mutterkuh, wenn der Mensch auf diese weisse Emulsion
Anspruch erhebt, welche eigentlich für ihr Kalb gedacht ist, und was
sind die Folgen der industriellen Milchwirtschaft für unsere Umwelt?
Das
im aktuellen Newsletter vorgestellte Werk "Schwarzweissbuch Milch – Die
Neuerfindung eines Naturprodukts – zwischen Mythos und Wahrheit" zeigt
die Geschichte der Milch und die Licht- und Schattenseiten der
Milchindustrie auf. Der Autor Thomas Stollenwerk geht Fragen auf den
Grund, ohne nur schwarz oder weiss zu malen. Das Buch beschreibt
zunächst, wie sich die Milch als Nahrungsmittel zu einem festen
Bestandteil unseres menschlichen Ernährungsplans der westlichen Welt
mauserte und wie die weltweite Vermarktung der Milch organisiert ist.
Das enorme Wachstum des Milchmarkts veränderte auch die Methoden der
Tierhaltung – mit verheerenden Folgen für die betroffenen Tiere.
Infolge
der hoch technisierten Industrie sind Kühe zu Melkmaschinen geworden.
Die Massenproduktion in immer grösseren Herden liess das Individuum
verschwinden und die Tiere zur regelmässig auszutauschenden Ware werden.
Die politisch erfolgreiche europäische Milchlobby strebt wie alle
anderen Wirtschaftszweige eine maximale Gewinnoptimierung und deshalb
auch eine maximale Milchproduktion an, ohne Rücksicht auf die Interessen
der Tiere oder der Umwelt. Unter dieser schonungslosen
Industrialisierung leiden im Weiteren auch die Bäuerinnen und Bauern,
die den Anforderungen nicht mehr gewachsen sind, was im Buch von Thomas
Stollenwerk differenziert aufgezeigt wird.
Gezielte
Zuchtselektion hat Milchkühe zu Hochleistungsproduzentinnen werden
lassen, deren Milchleistung jene Menge an Milch, die zur Versorgung
ihrer Kälber nötig wäre, längst übersteigt. Das regelmässige Melken der
Kühe und die künstliche Besamung tragen dazu bei, dass Milchkühe mit
Ausnahme weniger Wochen das ganze Jahr über Milch geben. Die Risiken für
Erkrankungen, beispielsweise für entzündete Euter, sind damit
allerdings gestiegen. Der Autor vergleicht die Leistung heutiger Kühe
mit Spitzensportlern, die einen Wettkampf bestreiten. Angesprochen wird
auch der problematische Import von Kraftfutter, der das Wachstum von
Monokulturen für den Anbau der Futtermittel fördert, was wiederum die
Biodiversität bedroht. Nicht zuletzt erklärt das Buch den Zusammenhang
zwischen den von Kühen in Massentierhaltungsanlagen erzeugten Gülleseen
und den immer wieder auftretenden Grundwasserverschmutzungen.
Ein
naturnahes, art- und tiergerechtes Leben ist in der industriellen
Milchviehproduktion kaum möglich. Haltungssysteme, die das Tierwohl
weitgehend berücksichtigen, existieren zwar, sie spielen aufgrund von
Rentabilitätsverlusten jedoch eine untergeordnete Rolle. Auch in der
Schweiz leben noch über 40 Prozent aller Kühe ganzjährig in
Anbindehaltung, in älteren Stallungen hängt teilweise sogar ein
Elektrobügel über dem Kuhrücken, der das Tier beim Harnlassen zwingt,
einen Schritt zurückzutreten.
Das Buch von Thomas Stollenwerk
beschäftigt sich darüber hinaus mit den Gesundheitsrisiken eines
erhöhten Konsums von Milch und Milchprodukten. Im Jahr 2005 erregte etwa
ein wissenschaftlicher Artikel das Interesse der dermatologischen
Fachwelt, nachdem Forschende der Universität Harvard einen möglichen
Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milch und Akne-Erkrankungen bei
Teenagern beschrieben hatten. Zwar konnte diese Frage bislang nicht
abschliessend geklärt werden. Der Dermatologe Prof. Dr. med. Bodo Melnik
allerdings ist überzeugt, dass Milch als Auslöser einer Reihe von
Krankheitsbildern eine weit grössere Rolle spielt als bisher angenommen.
Gemäss Prof. Melnik ist Milch ein Sekret, dem im Rahmen der
Säugetier-Evolution die Funktion zukommt, einerseits zu sättigen und
andererseits für postnatales Wachstum zu sorgen. Mit ihren Botenstoffen,
den Aminosäuren, erteile sie das Signal zum Wachstum. Kommen mehrere
Wachstumsfaktoren, etwa Insulin, Aminosäuren und zelluläre Energie
zusammen, kann sich eine Zelle teilen und vermehren. Jedes Glas Milch
stelle einen Insulin-Kick für ungefähr eineinhalb Stunden dar und könne
das Risiko, an Diabetes, Adipositas, Alzheimer, Demenz oder Krebs zu
erkranken, erhöhen.
Thomas Stollenwerk studierte Politologie und
arbeitet seit 2013 als Journalist. Im Zentrum seiner Recherchen stehen
die vielfältigen sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte von
Nachhaltigkeit. Seit 2015 ist er Chefredakteur des Magazins Biorama.
Sein Werk "Schwarzweissbuch Milch – Die Neuerfindung eines Naturprodukts – zwischen Mythos und Wahrheit" ist im Handel erhältlich und kann nach Voranmeldung während der Öffnungszeiten auch in der TIR-Bibliothek eingesehen werden, wo Lese- und Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Aktuelle Neuzugänge in der TIR-Bibliothek werden jeweils im Newsletter TIR-Bibliothek vorgestellt.
Weitere Informationen
- Buch: "Schwarzweissbuch Milch – Die Neuerfindung eines Naturprodukts – zwischen Mythos und Wahrheit" von Thomas Stollenwerk
- Buchtipp: "Verantwortbare Landwirtschaft statt Qualzucht und Qualhaltung - Was warum schiefläuft und wie wir es besser machen können" von Walter Neussel (Hrsg.)
- Swissveg: Allgemeines zur Milch
- Informationen der Universität Bern zur Haltung von Kühen in der Schweiz
- Gutachten der TIR zum Enthornen
- Hornkuh-Initiative
- Agrarbericht 2021
- Artikel: "Die Milchkuh – eine fitgespritzte Ausdauersportlerin (= Nutztier-Reihe, Dossier Nr. 3: immer mehr, immer schneller, immer billiger)" Zürcher Tierschutz (Hrsg.)
- Artikel: "Kuhmilch gerät unter Krebsverdacht" von Felix Straumann
- Artikel: "Elternzeit für Milchkühe" von Gunther Willinger
- Studie: "Dairy, Soy, and Risk of Breast Cancer: Those Cofounded Milks" von Gary E. Fraser et al.
- Aktuelle Neuzugänge in der TIR-Bibliothek: Newsletter TIR-Bibliothek
Milch Schwarzweiss

Buchcover "Scharzweissbuch Milch" von Thomas Stollenwerk
