TIR wirft kritischen Blick auf revidierte Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Schlachten
Anfang Jahr trat die revidierte Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Schlachten (VTSchS) in Kraft. Im Rahmen der vorangehenden Vernehmlassung hatte sich die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) detailliert zu den geplanten Änderungen geäussert und an das BLV appelliert, dringend notwendige Anpassungen der VTSchS hinsichtlich Betäubungsmethoden, Verantwortlichkeiten im Schlachtbetrieb und Kontrolle des Betäubungserfolgs vorzunehmen. Leider fanden die entsprechenden Forderungen keinen Eingang in die revidierte VTSchS, womit aus Sicht der TIR weiterhin grobe Mängel bestehen bleiben.
07.01.2022
Beispielhaft zu nennen sind die neuen Vorgaben zur Schlachtung von Fischen und Panzerkrebsen in Aquakultur-, sowie Handels- und Gastronomiebetrieben. So müssen etwa Panzerkrebse, die nicht im Wasser angeliefert werden, innerhalb von zwölf Stunden nach der Ankunft im Betrieb geschlachtet oder in ein Hälterungsbecken umgesetzt werden. Zudem sind kranke, verletzte und geschwächte Tiere unverzüglich zu betäuben und zu töten (Art. 25 VTSchS). Hälterungsbecken haben die für Fische und Panzerkrebse entsprechende Wasserparameter aufzuweisen und es ist die der Tierart entsprechende Besatzdichte einzuhalten (Art. 26 Abs. 1 VTSchS). Weiter sind Elektrobetäubungsanlagen und -geräte für Fische – die Bestimmung gilt unerklärlicherweise nicht für Panzerkrebse – vor ihrer Inbetriebnahme durch eine Expertin abzunehmen (Art. 27 VTSchS).
Auch wenn diese neuen Vorgaben den Schutz der betroffenen Tiere tendenziell verbessern, handelt es sich gleichwohl um absolute Mindestanforderungen, die das Interesse an ihrer möglichst praktikablen Tötung in den Vordergrund stellen. Dies zeigt sich auch an den Vorschriften zur Kontrolle des Betäubungserfolgs: Gemäss der revidierten VTSchS dürfen Fische in Gruppen in elektrisch geladenen Wasserbecken betäubt werden, und es genügt, wenn der Betäubungserfolg lediglich pro Gruppe kontrolliert wird. Einzelne Tiere sind nur "stichprobenweise und bei Bedarf" auf den Eintritt der Empfindungslosigkeit zu überprüfen (Anhang 6 VTSchS). Eine ähnliche Regelung gilt bei der Elektro- und Gasbetäubung von Geflügel: Der Betäubungserfolg ist grundsätzlich "pro Charge" – die VTSchS definiert dies als Anzahl Tiere, die während einer Minute über das Schlachtband laufen, mindestens aber 20 Tiere – und nur stichprobenweise oder bei Bedarf beim einzelnen Tier zu überprüfen (Anhang 5 Ziff. 3 und Anhang 8 Ziff. 5 VTSchS). Auch diese Regelung dient allein der Praktikabilität und ignoriert den geltenden Individualtierschutz, indem in Kauf genommen wird, dass Fehlbetäubungen unentdeckt bleiben und die betreffenden Tiere bei Bewusstsein entblutet werden.
Dennoch wurden hinsichtlich der Schlachtung von Geflügel einige willkommene – wenn auch unzulängliche – Verbesserungen eingeführt. So darf eine Person nur noch 70 anstatt 200 Tiere pro Tag durch Kopfschlag betäuben (Anhang 3 Ziff. 2.3 VTSchS) und Tiere der Geflügelgattung, die im Elektrobad betäubt werden, müssen beim Aufhängen neu auch an der Brust abgestützt werden (Art. 24 Abs. 2 VTSchS), was die Tiere ruhiger stellt und eine schonendere Behandlung ermöglicht. Zudem wurde die Betäubung von Geflügel mit alternativen Gasgemischen, die im Vergleich zu CO2 als tierfreundlicher beurteilt werden, konkretisiert (Anhang 8 Ziff. 1 VTSchS). Die CO2-Betäubung von Geflügel bleibt jedoch weiterhin erlaubt und wird auch im Rahmen der revidierten VTSchS näher geregelt, obwohl diese Betäubungsmethode bei den betroffenen Individuen nachweislich zu Atemnot und Panik führt und damit als klar tierschutzwidrig zu bezeichnen ist. Auch unzählige Schweine werden in der Schweiz mit CO2 betäubt, wobei für sie im Gegensatz zu Hühnern zum heutigen Zeitpunkt keine alternativen Betäubungsmethoden zugelassen sind. Ein generelles Verbot der Betäubung mit CO2 wäre also dringend gefordert.
Des Weiteren hält das BLV in seiner Medienmitteilung zur Revision der VTSchS vom 20.12.2021 fest, dass die Änderungen auch die Erkenntnisse
aus der 2018 und 2019 durchgeführten Analyse "Tierschutz und Fleischkontrolle in Schlachtbetrieben" der Bundeseinheit für die
Lebensmittelkette (BLK) berücksichtigen würden.
Eine Ausweitung oder Förderung der Selbstkontrolle ist der revidierten VTSchS jedoch nicht zu entnehmen. Im Gegenteil wurden sogar die Bestimmungen zu den verantwortlichen Personen und ihren Aufgaben im Bereich der Betäubung und Entblutung aus der VTSchS gänzlich gestrichen. Das BLV erklärt dies damit, dass die Verantwortlichkeiten im Schlachtbetrieb seit der Revision der Tierschutzverordnung von 2018 dort geregelt seien. Dabei handelt es sich um den sehr allgemein gehaltenen Art. 179e TSchV, wonach die Betreiberin des Schlachtbetriebs für das Einhalten der Tierschutzgesetzgebung verantwortlich ist und Arbeitsanweisungen hinsichtlich der Betäubung und Entblutung zu erlassen hat. Anders als die alte VTSchS verpflichtet diese Bestimmung die Schlachtbetriebe jedoch nicht ausdrücklich dazu, eine für die Kontrolle des Betäubungs- und Entblutungserfolgs verantwortliche Person zu ernennen.
Die Streichung dieser Bestimmungen in der VTSchS, die um einiges konkreter ausgestaltet waren, ist insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil das BLV auf Änderungen der TSchV von 2018 und damit auf Bestimmungen verweist, die vor den Erkenntnissen aus der 2019 abgeschlossenen Schlachthofanalyse erlassen wurden. Im Hinblick auf das immense Leid, das eine ungenügende Betäubung oder Entblutung für die betroffenen Tiere zur Folge haben, muss die Pflicht zur Selbstkontrolle der Schlachtbetriebe sowie eine klare Verantwortlichkeitsregelung in diesen Bereichen eine unbedingte Mindestanforderung bleiben, die um keinen Preis verwässert werden darf, sondern vielmehr ausdrücklich und detailliert zu regeln ist. Das System der Selbstkontrolle stellt ohnehin bereits eine aus Tierschutzsicht unzureichende Anforderung an die Schlachtbetriebe dar, wenn man bedenkt, dass dem höchstsensiblen Bereich der Betäubung und Entblutung von Tieren nur mit einer unabhängigen – d.h. behördlichen – Kontrolle Genüge getan werden könnte. Die TIR hat – in Zusammenarbeit mit Ständerat Daniel Jositsch (SP/ZH) und Nationalrätin Meret Schneider (GPS/ZH) – verschiedene Möglichkeiten behördlicher Kontrollen vorgeschlagen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit die Revision der VTSchS gewisse Aspekte der Schlachtung in tierschützerischer Hinsicht tatsächlich verbessert wurden. Bedauerlicherweise wurde jedoch unterlassen, elementare und dringend notwendige Anpassungen vorzunehmen, um aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft und Praxis gerecht zu werden.
Weitere Informationen
- Stellungnahme der TIR zur Revision der VTSchS vom 14.1.2021
- Bericht der BLK "Tierschutz und Fleischkontrolle in Fleischbetrieben" vom 14.1.2020
- Motion 20.3023 von Daniel Jositsch: Einführung obligatorischer Videoüberwachungen in Schlachtbetrieben
- Motion 20.3344 von Meret Schneider: Eine unabhängige Kontrolle von Betäubung und Entblutung in Schlachtbetrieben