Nach wie vor gravierende Mängel im kantonalen Tierschutzvollzug: Erneut offener Brief an Bundesrat Alain Berset
Immer wieder gelangen Fälle unzureichender Tierhaltungen an die Öffentlichkeit, die den Behörden seit Jahren bekannt waren. Regelmässig greifen die für den Tierschutzvollzug zuständigen Stellen erst konsequent durch, wenn die Situation eskaliert. In aller Regel sind zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tiere verstorben.
10.03.2020
Meldungen aus der Bevölkerung, etwa dass den Tieren zu wenig Wasser, Futter oder Schutz zur Verfügung steht, werden von den Vollzugsbehörden meistens zwar entgegengenommen, und häufig werden die betroffenen Tierhaltungen auch kontrolliert. Allerdings greifen die von der Veterinärbehörde verfügten Massnahmen oftmals nur für kurze Zeit. Nicht wenige Tierhaltende sind schlicht nicht fähig, ihre Tiere nachhaltig tierschutzkonform zu halten. Dabei wird regelmässig unterschätzt, wie anspruchsvoll eine korrekte Tierhaltung ist, obschon der tierschutzrechtliche Mindeststandard so gering ist, dass er den betroffenen Tieren kein tiergerechtes Leben garantiert.
Viele Menschen gehen davon aus, dass sie befugt sind, Tiere nach Belieben anzuschaffen und zu halten. Bedauerlicherweise wird diese Sicht von den Vollzugsbehörden und rechtsprechenden Organen gestützt: Tierhaltende werden bei Verstössen gegen die Tierschutzvorschriften über Jahre immer wieder verwarnt, Beschlagnahmungen und Tierhalteverbote hingegen kommen regelmässig erst zum Einsatz, wenn die betroffenen Tiere bereits ernsthaft zu Schaden gekommen sind.
Diese Rechtsauffassung widerspricht der tierschutzrechtlichen
Vorgabe, denn ein Anrecht auf eine unzureichende Tierhaltung besteht
nicht: Die Bundesverfassung weist die Behörden an, alles Notwendige zu
unternehmen, damit der Würde und dem Wohlergehen von Tieren Nachachtung
verschafft wird. Hierfür ist es oftmals notwendig, in das Eigentum von
Tierhaltenden einzugreifen. Aus diesem Grund verleiht das
Tierschutzgesetz den Behörden weitreichende Möglichkeiten, um Personen,
die zur tierschutzkonformen Tierhaltung oder Tierzucht nicht fähig sind,
mit entsprechenden Verboten zu belegen.
Auf diesen Umstand hat die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) in Zusammenarbeit mit den Tierschutzorganisationen VIER PFOTEN und ProTier in einem weiteren offenen Brief an Bundesrat Alain Berset in seiner Funktion als Vorsteher des EDI aufmerksam gemacht. Das Schreiben wird von 90 Tierschutzorganisationen mitgetragen. Diese grosse Unterstützung zeigt die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Anliegens. Gemeinsam fordern die unterzeichnenden Tierschutzorganisationen einen konsequenten Tierschutzvollzug und appellieren an die Verantwortung des EDI, seine Aufsichtspflicht im Zusammenhang mit den Vollzugsproblemen, wie sie sich etwa in Hefenhofen (TG), Boningen (SO) oder Oftringen (AG) gezeigt haben, wahrzunehmen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Es steht in dessen Letztverantwortung dafür zu sorgen, dass Tiere in der Schweiz so geschützt werden, wie es die Tierschutzbestimmungen vorsehen.
Weitere Informationen
- Medienmitteilung vom 10.3.2020: Tierschutzorganisationen beanstanden gravierende Mängel im Tierschutzvollzug
- Offener Brief an Bundesrat Alain Berset vom 6.3.2020: Weiterhin gravierende Mängel im Vollzug des Tierschutzgesetzes
- TIR-Gutachten Schweizer Tierschutzstrafpraxis
- Kommentierung der Tierschutzvorfälle in Boningen (SO) Stiftung für das Tier im Recht (TIR) (August 2017)
- TIR-Newsmeldung vom 29.8.2017: Mängel im Tierschutzvollzug: Offener Brief an Bundesrat Alain Berset
- TIR-Newsmeldung vom 7.11.2017: Offener Brief wegen Mängeln im Tierschutzvollzug: Antwort von Bundesrat Alain Berset
- Zweiter offener Brief an Bundesrat Alain Berset vom 8.1.2018: Gravierende Mängel im Vollzug des Tierschutzrechts