Tierschutzstrafpraxis 2017: TIR-Analyse zeigt erhebliche Vollzugsunterschiede sowie einen signifikanten Rückgang der Anzahl Tierschutzstrafverfahren und legt den Schwerpunkt auf an Schweinen begangene Tierschutzverstösse
Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat heute im Rahmen einer Medienkonferenz ihre umfassende Analyse der Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2017 präsentiert. Diese zeigt auf, dass im Berichtsjahr mit 1691 Fällen zum ersten Mal seit 2004 ein signifikanter Einbruch bei der Zahl der Tierschutzstrafverfahren zu verzeichnen ist, was massgeblich – allerdings nicht nur – auf die Aufhebung der Ausbildungspflicht für Hundehaltende zurückzuführen ist. Speziell untersucht wurden im diesjährigen Gutachten die tierschutzrechtlichen Bestimmungen zur Schweinehaltung sowie die diesbezügliche Strafpraxis. Dabei zeigt sich, dass das Wohl und die Würde von Schweinen auf rechtlicher Ebene kaum Beachtung finden.
22.11.2018
Gesamtschweizerisch ist die Anzahl der Tierschutzstrafverfahren in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. 2017 waren die Fallzahlen nun zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder rückläufig. Mit 1691 Fällen ergingen dabei in etwa so viele Entscheide wie im Jahr 2014, was im Vergleich zum Jahr 2016 einer Abnahme von rund 30 % entspricht.
In absoluter Hinsicht stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Bern, dessen 319 Fälle im Berichtsjahr knapp einen Fünftel des gesamten Fallmaterials ausmachen und der mit 3.09 Verfahren pro 10'000 Einwohner auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl das gesamtschweizerische Durchschnittsniveau von 2.16 Verfahren pro 10'000 Einwohner klar übertrifft. Bezüglich der absoluten Fallzahlen an zweiter Stelle folgt mit 272 Fällen der Kanton Zürich, der allerdings mit 1.81 Verfahren pro 10'000 Einwohner unter dem entsprechenden schweizweiten Durchschnitt liegt. Den dritten Platz nimmt sodann mit 179 Verfahren der Kanton Aargau ein, wobei dieser mit 2.67 Verfahren pro 10'000 Einwohnern auch in relativer Hinsicht einen überdurchschnittlichen Wert aufweist. Gemessen an der Bevölkerungszahl stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Obwalden (6.65 Verfahren pro 10'000 Einwohner), der auch mit wachsenden absoluten Zahlen ein positives Ergebnis ausweist. Aber auch der Kanton Uri liegt mit 4.31 Verfahren pro 10'000 Einwohner weit über dem Durchschnitt und kann einen erheblichen Anstieg der Fallzahlen (+ 87.5 %) vorweisen. Relativ zur Bevölkerungszahl betrachtet stammen die wenigsten Fälle aus den Kantonen Basel-Stadt (0.26 Fälle pro 10'000 Einwohner), Tessin (0.48), Jura (0.82), Genf (0.83) und Freiburg (0.89).
2017 befassten sich die Behörden in 56.3 % der erfassten Entscheide mit Delikten, die an Heimtieren begangen wurden. Etwas mehr als einen Viertel des Fallmaterials machen Verfahren aus, die an Nutztieren verübte Verstösse zum Gegenstand hatten. Mit 790 Fällen am häufigsten betroffen waren erneut Hunde. Diese Zahl ist allerdings insofern zu relativieren, als es im Berichtsjahr bei 14.8 % der Verfahren um mangelhafte Beaufsichtigung ging und – trotz Aufhebung der Sachkundenachweispflicht am 1. Januar 2017 – in 15.8 % der Fälle das Nichterbringen des Sachkundenachweises sanktioniert wurde. Unabhängig vom Wegfall der Sachkundenachweisfälle hat die Zahl der "klassischen" Tierschutzdelikte, also aller Delikte abzüglich der Verstösse gegen die Ausbildungs- und die Beaufsichtigungspflicht für Hundehaltende, eine gesamtschweizerische Abnahme erfahren. Auf welche Ursache diese Entwicklung zurückzuführen ist, bleibt zu klären.
Der Mittelwert der für Übertretungen gegen das Tierschutzrecht
ausgesprochenen Bussen betrug 2017 wie schon in den Vorjahren 300
Franken. Besonders hervorzuheben sind die Bussen im Kanton Obwalden mit
einem Mittelwert von 750 Franken sowie in den Kantonen Basel-Landschaft
und Genf mit je 500 Franken. Schweizweit wurde im Berichtsjahr in 14
Fällen eine unbedingte Geldstrafe für einen "reinen" Tierschutzverstoss –
also einen solchen, bei dem nicht auch gleichzeitig ein Verstoss gegen
ein anderes Gesetz zur Beurteilung stand – ausgesprochen; im Vorjahr
waren es noch 24. Allerdings wurde 2017 im Gegensatz zum Vorjahr auch
eine unbedingte Strafe für ein "reines" Tierschutzdelikt verhängt.
Bedingte Freiheitsstrafen für "reine" Tierschutzverstösse wurden im
Berichtsjahr keine angeordnet.
Vor dem Hintergrund des vom Tierschutzrecht festgelegten Strafrahmens, der für Tierquälereien eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe und für Übertretungen eine Busse von bis zu 20'000 Franken vorsieht, und angesichts des mit den betreffenden Handlungen oftmals einhergehenden Tierleids sind die Strafen für Tierschutzdelikte gesamthaft betrachtet noch immer unverhältnismässig tief.
Im Rahmen der diesjährigen
Analyse der Schweizer Strafpraxis wurden die rechtlichen Bestimmungen
zum Schutz von Schweinen sowie die Strafpraxis in Bezug auf Schweine
einer genaueren Betrachtung unterzogen. Dabei zeigt sich, dass die
vergleichsweise detaillierten Vorschriften zur Haltung von Schweinen den
Tieren bei Weitem kein artgerechtes Leben garantieren. So dürfen
Schweine etwa ohne Zugang zu einem Aussenbereich, in extrem engen
Platzverhältnissen und ohne Einstreu auf dem nackten Betonboden gehalten
werden.
Die Auswertung des Strafmaterials hat sodann ergeben,
dass Schweinen von ihren Haltern häufig eine regelrechte
Gleichgültigkeit entgegengebracht wird. Die von Verstössen betroffenen
Tiere litten oftmals über längere Zeit unter krass tierschutzwidrigen
Haltungsbedingungen, kranke Schweine wurden vielfach unzureichend
behandelt und einer Euthanasie wurde regelmässig der Transport in den
Schlachthof und damit die potenzielle wirtschaftliche Verwertung
vorgezogen, was das Leid kranker und verletzter Tiere unnötig
verlängerte. Dass entsprechendes Verhalten seitens der
Strafverfolgungsbehörden nicht toleriert und vergleichsweise streng
bestraft wurde, ist hingegen positiv hervorzuheben.
Zusammenfassend
besteht im Tierschutzstrafvollzug vielerorts noch erhebliches
Verbesserungspotenzial. Es ist völlig inakzeptabel, dass verbindliche
Gesetzesbestimmungen immer wieder ignoriert und Tierschutzverstösse
nicht verfolgt oder mit viel zu milden Strafen geahndet werden. In einem
Forderungskatalog hat die TIR darum die acht wichtigsten Postulate für
eine wirksame Strafpraxis im Tierschutzrecht aufgelistet.
Medienecho Online-Medien:
- Le Matin vom 22.11.2018: Une sanction historique a été infligée à Yverdon pour un chiot tué
- Tierwelt vom 23.11.2018: Härtere Strafen für Tierquäler gefordert
- SRF online vom 22.11.2018: Rückgang um 30 Prozent: Zahl der Tierschutzverfahren nimmt ab
- Luzerner Zeitung vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- FM1 today vom 22.11.2018: Strengere Strafen für Tierquäler gefordert
- Nau.ch vom 22.11.2018: Für Tier im Recht sind Haltebedingungen von Schweinen tierunwürdig
- Ticinonline vom 22.11.2018: Reati contro gli animali, il Ticino poco impegnato nel perseguirli
- Nau.ch vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- 20 minutes vom 22.11.2018: Moins de procédures pénales liées aux animaux
- Le Matin vom 22.11.2018: Maltraitance animale en Suisse: les chiens premières victimes
- Blick vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- Bluewin vom 22.11.2018: Tierrechtler kritisieren Schweinehaltung
- Bote der Urschweiz vom 22.11.2018: Tierrechtler kritisieren Schweinehaltung
- Tagblatt vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- Südostschweiz vom 22.11.2018: Weniger Strafverfahren wegen Tierschutzvergehen - das ist nicht gut
- Südostschweiz vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- St. Galler Tagblat vom 22.11.2018: Tierrechtler fordern strengere Strafen für Tierquäler
- Le Matin vom 22.11.2018: Animaux: «brutalité exceptionnelle» mais peines légères
- Polizei Ticker vom 22.11.2018: Weniger Tierschutzstrafverfahren - grosse kantonale Unterschiede