Bezirksgericht Andelfingen verurteilt Landwirt wegen fahrlässiger Tierquälerei
Das Bezirksgericht Andelfingen hat am Dienstag, 21. August 2018 einen 58-jährigen Landwirt wegen fahrlässiger Tierquälerei verurteilt. In einem von ihm montierten Weidenetz verfing sich eine Rehgeiss, die nach einem erfolglosen Befreiungsversuch durch den Revierobmann getötet werden musste. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat den Gerichtsprozess mitverfolgt.
27.08.2018
Dem Landwirt wurde vorgeworfen, von Mitte Juni bis Ende Juli 2016 durch unsachgemässe und zweckentfremdete Verwendung eines mobilen Weidenetzes («Flexinet») in Nähe des Waldes eine erhebliche Gefahr für dort lebende Wildtiere geschaffen zu haben. Dieser hatte im Juni 2016 auf seinem Grundstück eine Anpflanzung von Himbeeren auf einer Fläche von ca. 20m2 mit einem mobilen Weidenetz eingezäunt, um sie vor Wildfrass zu schützen. Gemäss Vorwurf der Staatsanwaltschaft bestand hierdurch für Wildtiere beim Durchqueren der Örtlichkeit auf der Suche nach Nahrung oder auf der Flucht ein Risiko, sich im mobilen Weidenetz zu verfangen. Am 31. Juli 2016 verfing sich denn auch ein Reh darin, das sich selbst nicht mehr befreien konnte. Es ist unklar, wie lange das Tier unter grossem Stress im Netz festhing, bis es durch den Jagdobmann erschossen wurde.
Das Aufstellen eines solchen Weidenetzes ist grundsätzlich nicht verboten und deren Einsatz bei vielen Bauern in der ganzen Schweiz in der Tierhaltung und zur Abwehr von Wildschäden gängige Praxis. Zudem hätte der Beschuldigte gemäss eigenen Aussagen das Weidenetz nur solange dort platziert, bis die Himbeersträuche hoch genug gewesen wären, um vor Fressattacken sicher zu sein. Er habe das «Flexinet» absichtlich nicht unter Strom gestellt, da dies zwar bei der Haltung von Tieren zur Anwendung kommt, seine Himbeerkulturen aber nicht vor Wildtierschäden hätte schützen können. Das Weidenetz kontrollierte er in regelmässigen Abständen alle 2-3 Tage. Gemäss seiner Angabe war es gut fixiert und korrekt montiert. Das «Flexinet» sei ausserdem in der Landi als Wildabwehrnetz angepriesen worden. Es war für ihn deswegen nicht ersichtlich, wieso er das Weidenetz nicht zum Schutz seiner Himbeerkulturen hätte einsetzen sollen.
Auf die Frage nach alternativen Möglichkeiten, um seine Kulturen zu schützen, wies der Beschuldigte auf deren mangelnde Effizienz hin. So könne etwa ein Litzenzaun kleinere Wildtiere nicht davon abhalten, unter dem Zaun durchzukriechen. Nach umfassender Abwägung aller Umstände habe er sich für ein «Flexinet» entschieden. Das Weidenetz stellte er auch weiterhin unverändert auf, nachdem sich vor einigen Jahren ein ähnlicher Vorfall ereignete. Ein Rehbock verfing sich damals im Netz und musste durch den Jagdobmann in der Folge ebenfalls getötet werden.
Der Verteidiger des Angeklagten legte in seinem Plädoyer grossen Wert darauf, das Handeln des örtlichen Jagdobmanns kritisch zu hinterfragen. So scheint das Reh auf dem Beweisfoto keine äusseren Verletzungen aufzuweisen. Der erfolgte Todesschuss sei vermutlich gar nicht nötig gewesen, vielmehr hätte das Tier durchaus unverletzt befreit werden können. Daran habe der Jagdobmann aber – so der Verteidiger – schlichtweg kein Interesse gehabt. Diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit dem Sachverhalt seien durch die Staatsanwaltschaft nicht genügend untersucht worden. Das könne dem Beklagten nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht belastend angerechnet werden.
Das Gericht war dennoch der Auffassung, dass der Unfall mit grösserer
Sorgfalt des Beschuldigten allenfalls hätte verhindert werden können,
weil durchaus andere, wildtierfreundlichere Alternativen zur Verfügung
gestanden hätten.
Es handle sich um einen beispielhaften Fall für den unweigerlichen Konflikt zwischen Landwirtschaft und Natur. Diesen könne man nur mit grösstmöglicher Sorgfalt lösen. Der Mensch trage die Hauptverantwortung für die Natur und müsse daher alles in seiner Macht stehende tun, um solche Unfälle zu verhindern. Wird ein Zaun für notwendig erachtet und in der Folge aufgestellt, dann muss diejenige Variante gewählt werden, die das kleinste Risiko für Tiere mit sich bringt. Dies habe der Landwirt in diesem konkreten Fall nicht gemacht.
Der Beschuldigte und sein Anwalt erhoben nach der Urteilsverkündung sofort Berufung und kündigten an, das Verfahren, falls erforderlich, bis ans Bundesgericht weiterzuziehen. Zusätzlich ziehen sie auch eine Anklage gegen den Jagdobmann in Betracht.
Die TIR begrüsst das konsequente Durchgreifen des Bezirksgerichts Andelfingen. Auch nach Auffassung der TIR hätte das geschaffene Risiko für Wildtiere mit zusätzlichen Massnahmen – ohne grossen Aufwand – zumindest verringert werden können. Im offiziellen Merkblatt des Schweizer Tierschutzes "Sichere Zäune für Nutz- und Wildtiere" finden sich hilfreiche Informationen zu dieser Problematik. So hätte der Landwirt den Weidenzaun beispielsweise mit einem gut sichtbaren Warnband ausstatten können, im Weiteren ist eine tägliche Kontrolle zwingend. Auch zusätzliche Hinweise am Weidenetz mit Angabe einer Notfallnummer können helfen.
Durchgehend elektrifizierte Zäune zum Schutz vor Wildtieren begrüsst die TIR hingegen nicht, da sie für sich darin verhedderte Tiere eine zusätzliche Qual darstellen. Diesbezüglich ist dem Landwirt in diesem konkreten Fall kein Vorwurf zu machen.
Leider kommt es immer wieder vor, dass Weidezäune Wild- oder auch Haustieren – ohne entsprechende Absicht des Monteurs – zum Verhängnis werden. In der Regel fehlen den betroffenen Landwirten die nötigen Informationen, wie sie ein Weidenetz oder einen Zaun so schonend wie möglich einsetzen können. Daher stehen nach Ansicht der TIR auch die örtlich zuständigen Wildhüter und Jagdobmänner sowie die Regionalbauernverbände in der Pflicht, sich diesbezüglich zu informieren und Landwirte auf die Problematik aufmerksam zu machen. Nur gemeinsam kann die Zahl solcher Wildtierunfälle in der Praxis erfolgreich minimiert werden.
Bilder aus dem STS-Merkblatt "Sichere Zäune für Nutz- und Wildtiere"

