TIR kritisiert Entscheid des Zürcher Obergerichts betreffend Verwendung eines Nasenrings bei Kühen
Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen einen Landwirt kam das Zürcher Obergericht am 28. Oktober 2014 zum Schluss, dass das Einsetzen eines Nasenrings bei einer Kuh nicht als Tierquälerei zu werten sei. Nach Ansicht der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) liegt dem Entscheid allerdings eine fehlerhafte Auslegung des Tierquälereitatbestandes der Misshandlung zugrunde.
12.12.2014
Ein Zürcher Landwirt hatte einen Tierarzt beauftragt, seiner Kuh einen die Nasenscheidewand durchstossenden Ring einzusetzen, um dem Tier den Saugreflex abzugewöhnen. Im Mai 2014 erstattete der Veterinärdienst des Kantons Solothurn beim zuständigen Statthalteramt eine Strafanzeige gegen den Landwirt wegen Verstosses gegen das Tierschutzgesetz. Nachdem sich dieses weigerte, entsprechende Untersuchungen aufzunehmen, schaltete sich das Veterinäramt Zürich ein und erhob beim Obergericht Beschwerde gegen die Verfügung des Statthalteramts.
Das Statthalteramt war der Auffassung, dass das Einsetzen eines die Nasenscheidewand durchstossenden Nasenrings bei einer Kuh gesetzlich nicht verboten sei und deshalb keine Strafuntersuchung eingeleitet werden müsse. Es gründete seinen Entscheid auf Art. 17 lit. e der Tierschutzverordnung (TSchV), der bei Rindern lediglich "invasive Eingriffe an der Zunge, am Zungenbändchen oder am Flotzmaul zur Verhinderung von Verhaltensabweichungen" verbietet. Die Nasenscheidewand sei aus anatomischer Sicht kein Bestandteil des Flotzmauls. Dabei stützte sich das Statthalteramt auf einen Bericht des Veterinär-Anatomischen Instituts der Universität Zürich, gemäss dem es sich beim "Flotzmaul" eines Rindes um die oberflächliche und äussere Struktur der Nase und der Oberlippe handelt. Das Zürcher Veterinäramt argumentierte hingegen, dass die Bestimmung nicht "rein veterinär-anatomisch" verstanden werden dürfe. Dies würde dem Willen des Gesetzgebers zu wider laufen und dem Tierschutz nicht gerecht werden, weshalb dieser Begriff stattdessen weit auszulegen sei.
Das Zürcher Obergericht schloss sich in seiner Verfügung der Auffassung des Statthalteramts an. Es vertrat dabei die Meinung, dass der Gesetzgeber die Nasenscheidewand bei Rindern explizit genannt hätte, wenn diese vor invasiven Eingriffen geschützt werden sollte, und qualifizierte die Verwendung des Nasenrings nicht als Tierquälerei. Das Gericht war zudem der Ansicht, dass nicht dargelegt sei, dass der Kuh durch das Anbringen des Nasenrings ungerechtfertigte Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt wurden.
Aus Sicht der TIR beruht der Entscheid des Obergerichts allerdings auf einer fehlerhaften Auslegung des Tierquälereitatbestands der Misshandlung nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG. Ob der Begriff "Flotzmaul" im Sinne des Legalitätsprinzips eng ausgelegt werden muss oder ob eine weite Auslegung mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar wäre, ist für die vorliegende Fragestellung nicht ausschlaggebend, da das Tierschutzgesetz das ungerechtfertigte Zufügen von Schmerzen, Leiden, Schäden und Ängsten per se unter Strafe stellt (Art. 4 Abs. 2 TSchG).
Das Durchstossen der Nasenscheidewand ist zweifelsfrei als Schadenszufügung im Sinne des Tierschutzgesetzes zu qualifizieren. An diesem Umstand vermag auch Einwand des Obergerichts, dass man sich in der Fachwelt offenbar uneinig sei, ob das Einsetzen eines die Nasenscheidenwand durchstossenden Nasenrings Schmerzen verursache, nichts zu ändern.
Da das Einsetzen des Nasenrings die Kuh vom Saugen an anderen Tieren
abhalten soll, liegt allerdings der Verdacht nahe, dass die
Verhaltenskorrektur durch Schmerzeinwirkung herbeigeführt wird, weshalb
vorliegend wohl auch von einer Schmerzzufügung auszugehen ist.
Sowohl die Schadens- sowie die Schmerzzufügung erfüllen den Tatbestand
der Misshandlung gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG, sofern sie
ungerechtfertigt erfolgen. Die Belastung der Kuh kann vorliegend jedoch
nicht durch das Interesse des Landwirts, dieser ihren Saugreflex
abzugewöhnen, gerechtfertigt werden. Dies gilt umso mehr, als dass
wesentlich weniger belastende Massnahmen zur Abgewöhnung des
Saugreflexes von Rindern zur Verfügung stehen, wie beispielsweise das
Anbringen eines sogenannten Saugschutzrings aus Plastik an der Nase der
Tiere. Das Obergericht hätte den Landwirt nach Ansicht der TIR daher
wegen Tierquälerei verurteilen müssen.
Erfreulich ist, dass Kantonstierärztin Regula Vogel gemäss einem
Online-Bericht des Tagesanzeigers vom 7. Dezember 2014 darauf hinwirken
will, dass der Wortlaut in den Bestimmungen betreffend verbotene
Verhaltenssteuerungen am Kopf von Tieren eindeutiger wird. Auch das
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat
erkannt, dass dieses Thema Unsicherheiten bei der rechtlichen
Interpretation auslöst und will diesen Bereich deshalb bei der nächsten
Revision der Tierschutzverordnung detaillierter regeln.
Es ist zu
hoffen, dass das BLV die bestehende Bestimmung über verbotene
Handlungen bei Rindern durch ein explizites Verbot von invasiven
Eingriffen an der Nasenscheidewand ergänzt, um in Zukunft
Fehlentscheidungen wie jene des Zürcher Obergerichts zu verhindern.
Schliesslich wird in der betreffenden Fachinformation des BLV heute
schon festgehalten, dass Saugschutzringe nur ausnahmsweise eingesetzt
werden dürfen und – mit Verweis auf Art. 17 lit. e TSchV – "Ringe, die
die Nasenscheidewand oder andere Bereiche des Mauls durchstossen,
tierschutzrechtlich nicht zulässig [sind], weil sie unnötig Schmerzen
verursachen und die Tiere beim Fressen, Trinken oder Lecken stark
behin-dern".