Stellungnahme zum Artikel "Es braucht keinen Tierschutz, der von Hass getrieben ist" in der NZZ am Sonntag
In der NZZ am Sonntag vom 30. November 2014 hat der ehemalige Luzerner Kantonstierarzt Dr. Josef Stirnimann die Forderungen der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) für eine konsequentere Umsetzung des Tierschutzstrafrechts kritisiert. Die TIR hat hierzu in der aktuellen NZZ am Sonntag in einem Leserbrief Stellung genommen. Leider bot dieser Rahmen nicht genügend Platz für eine umfassende Replik, weshalb die TIR ihren Standpunkt an dieser Stelle ausführlicher darlegt.
08.12.2014
Die TIR analysiert jedes Jahr sämtliche dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) gemeldeten Tierschutzstrafverfahren des jeweiligen Vorjahres, um Schwachstellen in der Umsetzung des strafrechtlichen Vollzugs aufzudecken und Verbesserungsvorschläge formulieren zu können. Dabei stellt sie regelmässig fest, dass gewisse Kantone die Verfolgung von Tierschutzverstössen wesentlich ernster nehmen als andere und dass die ausgesprochenen Strafen gesamthaft betrachtet sehr tief sind. Die Resultate ihrer Analyse veröffentlicht die TIR jeweils im Rahmen eines Gutachtens, das regelmässig grosse Aufmerksamkeit in den Medien erlangt.
In der NZZ am Sonntag vom 30. November 2014 wirft Dr. Stirnimann der TIR nun vor, mit ihrem Vorgehen "Hass zu entfachen". Weiter ist er der Ansicht, dass eine konsequente Bestrafung der Täter den Tieren nichts nütze. Er streicht dabei die Wichtigkeit des verwaltungsrechtlichen Tierschutzes heraus, in dessen Rahmen der kantonale Veterinärdienst den Tieren direkt helfen kann, indem er beispielsweise die Behebung rechtswidriger Haltungsumstände anordnet oder die betroffenen Tiere beschlagnahmt. Bis in einem strafrechtlichen Verfahren ein Urteil gefällt sei, gehe es den Tieren meist längst wieder gut.
Dr. Stirnimanns Angriff muss vehement widersprochen werden. Der TIR geht es bei der jährlichen Analyse der Tierschutzstrafpraxis keineswegs darum, Hass zu entfachen. Ziel ist es vielmehr, auf eine korrekte Anwendung des Tierschutzgesetzes hinzuwirken und so der immer noch festzustellenden Bagatellisierung von Tierschutzverstössen entgegenzutreten. Das Tierschutzrecht bestimmt ausdrücklich und zwingend, dass Widerhandlungen strafrechtlich zu sanktionieren sind. Tierschutzdelikte stellen sogenannte Offizialdelikte dar und sind daher von den zuständigen Strafbehörden von Amtes wegen zu untersuchen. Für einen wirksamen Schutz der Tiere kommt diesem strafrechtlichen Tierschutz enorme Bedeutung zu. So dient eine konsequente Anwendung der Strafbestimmungen nicht nur der Schärfung des gesellschaftlichen Bewusstseins für einen respektvollen Umgang mit Tieren, sondern auch der Prävention zur Verhinderung weiterer Tierschutzverstösse.
Zweifellos sind die von Dr. Stirnimann angesprochenen Administrativmassnahmen, wie die Anordnung der Behebung rechtswidriger Zustände oder die Beschlagnahmung von Tieren, sehr wichtig, um den betroffenen Tieren direkt und so schnell wie möglich zu helfen. Für eine bestmögliche Schutzwirkung des Tierschutzrechts ist es aber unabdingbar, dass zusätzlich auch noch ein strafrechtliches Verfahren gegen den Täter geführt wird. Der verwaltungs- und der strafrechtliche Tierschutz schliessen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Auch die Tatsache, dass den betroffenen Tieren durch ein Strafverfahren nicht mehr direkt geholfen werden kann, schmälert dessen Bedeutung nicht. Schliesslich liesse sich mit diesem Einwand das gesamte Strafrecht infrage stellen, da dieses immer erst zum Zuge kommt, nachdem ein Delikt bereits begangen worden ist.
Weiter wirft Dr. Stirnimann der TIR vor, sie würde systematisch verschweigen beziehungsweise sogar bestreiten, dass laut Gesetz bei leichten Tierschutzverstössen auf ein Strafverfahren verzichtet werden könne. Hierzu gilt es Folgendes zu präzisieren: Wie bereits dargelegt handelt es sich bei Tierschutzverstössen um Offizialdelikte, die von den Strafbehörden grundsätzlich zwingend zu verfolgen sind, sobald diese Kenntnis von ihnen haben. Aufgrund des sogenannten Opportunitätsprinzips können die Strafbehörden bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen ausnahmsweise hierauf verzichten (was nicht nur für den Bereich des Tierschutzrechts, sondern für das gesamte Strafrecht gilt). Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass gemäss Tierschutzgesetz prinzipiell sämtliche Verstösse strafrechtlich zu ahnden sind.
Für die "leichten Fälle", auf die sich Dr. Stirnimann bezieht, besteht
demgegenüber eine Ausnahme vom Grundsatz, wonach die kantonalen
Veterinärdienste bei festgestellten Tierschutzverstössen zur Erstattung
einer Strafanzeige verpflichtet sind. Dies ergibt sich aus Art. 24 Abs. 4
des Tierschutzgesetzes (TSchG) und wurde von der TIR nie bestritten.
Doch auch im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht der Veterinärdienste
ist darauf hinzuweisen, dass das BLV mehrfach klar kommuniziert hat,
dass die Tierschutzvorschriften absolute Mindeststandards darstellen,
die die Grenze zur Tierquälerei markieren. Mit einer aus der Sicht des
Tierschutzes guten Tierhaltung haben diese minimalen Vorgaben nichts zu
tun. Werden selbst diese nicht eingehalten, dürfen Veterinärbeamte daher
nicht leichtfertig von leichten Verstössen ausgehen und somit von einer
Strafanzeige absehen.
Letztlich erwecken die Schilderungen von
Dr. Stirnimann den Eindruck, bei den meisten Verstössen handle es sich
um Bagatellen und schwere Tierquälereien würden in der überwiegenden
Zahl der Fälle von Tierhaltenden begangen, die unter allgemeiner
Überforderung oder psychischen Erkrankungen leiden, ihren Tieren aber
eigentlich nichts Böses antun wollen. Solche Personen würden durch ein
Strafverfahren nur noch zusätzlich belastet.
Das von der TIR
ausgewertete Fallmaterial der letzten 20 Jahre zeigt indes deutlich,
dass es sich bei Tierschutzverstössen in den meisten Fällen eben gerade
nicht um Bagatellen handelt. Auch die Einschätzung, wonach schwere
Tierquälereien in der Regel auf Überforderung oder psychische Probleme
der Tierhalter zurückzuführen seien, kann die TIR nicht teilen. Die
ergangenen Strafentscheide belegen, dass Tierquälereien oftmals
fehlendes Verantwortungsbewusstsein, mangelndes Wissen, Gleichgültigkeit
oder auch böswillige Absicht zugrunde liegt. In solchen Fällen kann ein
funktionierender strafrechtlicher Tierschutz eine starke präventive
Wirkung entfalten. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich die
Tatsache, dass Tierschutzverstösse Straftaten darstellen, die mit
Sanktionen von Bussen bis hin zu Freiheitsstrafen zu ahnden sind, im
Bewusstsein der Gesellschaft festsetzt. Dies ist jedoch wiederum nur mit
einer konsequenten Umsetzung des strafrechtlichen Tierschutzes zu
erreichen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die TIR als
Resultat ihrer jährlichen Analysen der Tierschutzstrafpraxis nicht mehr
und nicht weniger als die korrekte Anwendung des Tierschutzgesetzes
fordert, das bei Verstössen ganz klar eine Bestrafung der Täter
verlangt. Eine konsequente Anwendung der entsprechenden
Strafbestimmungen ist nach Ansicht der TIR insbesondere im Hinblick auf
eine möglichst starke präventive Wirkung des Tierschutzrechts von
entscheidender Bedeutung. Für die bestmögliche Ausschöpfung der zur
Verfügung stehenden Massnahmen zur Behebung rechtswidriger Zustände und
zur Ahndung verbotener Verhaltensweisen ist es wichtig, dass
Strafverfolgungsbehörden Veterinärdienste eng zusammenarbeiten.
Erfreulicherweise ist festzustellen, dass diese Kooperation in vielen
Kantonen in den letzten Jahren immer besser funktioniert.