TIR begrüsst Kükentötungsverbot in Nordrhein-Westfalen
Im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde Ende 2013 das maschinelle Massentöten sogenannter "Eintagsküken" verboten. Noch nie zuvor erging in einem Industrieland ein rechtlich verankertes Verbot dieser aus Tierschutzsicht höchst fragwürdigen Praxis. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) begrüsst diesen Schritt und sieht dringenden Handlungsbedarf auch in der Schweiz.
22.01.2014
Rund 50 Prozent aller spezifisch für die industrielle Eierproduktion gezüchteten und ausgebrüteten "Hybridhühner" sind männlich. Die einseitig auf höchste Legeleistung ausgerichteten Tiere setzen nur wenig für den Menschen geniessbares Muskelfleisch an und sind für die Mast daher nicht interessant. Die männlichen Brüder der Legehennen werden deshalb unmittelbar nach dem Schlüpfen als sogenannter Industrieabfall "homogenisiert" – so nennt die eidgenössische Tierschutzverordnung das Schreddern der Küken – oder vergast.
In Bezug auf Zucht, Haltung, Transport und Schlachtung von Geflügel zeigt sich die industrialisierte Landwirtschaft heute von einer unter ethisch-moralischen Aspekten höchst fragwürdigen Seite. Das Töten frisch geschlüpfter Küken im grossen Stil ist einer ihrer Auswüchse, die dem in der schweizerischen Rechtsordnung verankerten Prinzip der Achtung der Tierwürde offensichtlich widersprechen. Tieren, die als "Abfallprodukte" geboren und deshalb umgehend getötet werden, wird die auf Verfassungs- und Gesetzesstufe garantierte Anerkennung ihres Eigenwerts verweigert; sie werden unter vollständiger Missachtung ihres Selbstzwecks übermässig instrumentalisiert.
Bislang blieb diese zunehmend infrage gestellte Praxis ohne Konsequenzen, da derzeit keine rentablen Alternativen zur Kükentötung in Sicht sind. Dies, obschon Tiere gemäss Schweizer Recht ausschliesslich dann in ihrer Würde verletzt werden dürfen, wenn dadurch klar überwiegende anderweitige Interessen gewahrt werden. Aus rechtlicher Sicht reichen rein ökonomische Interessen indessen nicht aus, um eine Tierwürdeverletzung zu rechtfertigen.
Demnach ist das systematische Töten männlicher Küken als unerwünschte Nebenprodukte als strafbare Tierwürdemissachtung zu qualifizieren. Die ausführende Bestimmung zur Kükentötung in der vom Bundesrat erstellten Tierschutzverordnung legalisiert die gesetzeswidrige Praxis jedoch und beseitigt deren Strafbarkeit. Die offensichtliche Missachtung der Tierwürde wird damit entgegen den Grundsätzen der Tierschutzgesetzgebung toleriert.
Anders die Rechtslage in Deutschland: Ein Schutz der Tierwürde wird in
Deutschland weder auf Verfassungs- noch auf gesetzlicher Ebene
anerkannt. Allerdings kennt das deutsche Tierschutzgesetz im Gegensatz
zum schweizerischen Rechtssystem einen Lebensschutz für Tiere. Für die
Tötung von Tieren muss ein "vernünftiger Grund" nachgewiesen werden.
Bereits die Staatsanwaltschaft Münster war in einer strafrechtlichen
Beurteilung zum Schluss gekommen, dass bei der systematischen Tötung
männlicher "Eintagsküken" der tierschutzgesetzliche Straftatbestand
erfüllt sei.
Die TIR freut sich über den mutigen Schritt der
Landesregierung Nordrhein-Westfalens, dieser tierschutzwidrigen Praxis
entgegenzutreten. Einige Hürden sind jedoch noch zu überwinden, bevor
die Kükentötungen in NRW eingestellt werden: Die Klagen der betroffenen
Brütereien führen in den nächsten Monaten zu einer gerichtlichen
Überprüfung des erlassenen Tötungsverbots. Vorgesehen wäre ein Ende der
Tötungspraxis bis zum 1. Januar 2015.
- Pressemitteilung des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.12.2013: Minister Remmel: "Tiere sind keine Abfallprodukte"
- Pressemitteilung des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26.9.2013: Verbraucherschutzminister Johannes Remmel: "Tiere dürfen in unserer Landwirtschaft nicht zum Abfallprodukt werden"
- Amelie C. Buhl, Legal Aspects of the Prohibition on Chick Shredding in the German State of North Rhine - Westphalia, in: Global Journal of Animal Law Nr. 2/2013