Enthornen von Rindern ist rechtswidrig
Kühe haben von Natur aus Hörner, dennoch sieht man horntragende Rinder heute praktisch nur noch in der Werbung. An einer gemeinsam mit KAGfreiland und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) durchgeführten Medienkonferenz zeigte die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) heute auf, dass die weit verbreitete Praxis des Enthornens von Rindern gegen das Tierschutzrecht verstösst.
17.08.2010
Während die berühmte Kuh Lovely in der Milch-Werbung und ihre marketingmässig aktiven Artgenossinnen allesamt prächtige Hörner tragen, sind in Wirklichkeit rund 90 Prozent aller in der Schweiz gehaltenen Kühe hornlos. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der vom Kuhhorn ausgehenden Verletzungsgefahr für Mensch und andere Tiere. Anderseits spielen aber auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Hornlose Kühe können auf engerem Raum und somit kostengünstiger gehalten werden.
Um auf die Problematik aufmerksam zu machen, fand heute im Zoologischen Museum der Universität Zürich eine von KAGfreiland, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und der TIR organisierte Pressekonferenz "Die behornte Kuh darf nicht aussterben!" statt. Dr. Gieri Bolliger, Geschäftsleiter der TIR, erläuterte dabei vor zahlreichen Journalisten, weshalb das Enthornen von Rindern nicht nur aus ethischen Gründen fragwürdig, sondern vor allem auch rechtswidrig ist. Neben juristischen, biologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten beleuchtete Prof. Dr. Klaus Peter Rippe die ethischen Aspekte des Enthornens kritisch.
Der weit verbreitete, rechtlich bisher indes kaum hinterfragte Eingriff wurde dabei vor allem vor dem Hintergrund der sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesebene geschützten Tierwürde analysiert. Nach diesem fundamentalen Grundsatz sind Tiere um ihrer selbst willen in ihrem Eigenwert zu achten. Die Tierwürde wird gemäss Tierschutzgesetz unter anderem dann verletzt, wenn tief greifend in das Erscheinungsbild oder die Fähigkeiten von Tieren eingegriffen wird oder sie erniedrigt oder übermässig instrumentalisiert werden. Der Schutz der Tierwürde gilt aber nicht absolut. Eine Verletzung wird nur dann als "Würdemissachtung"– und damit als rechtswidrig – betrachtet, wenn sie nicht durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt werden kann. Hierfür muss in jedem Einzelfall eine konkrete Abwägung aller betroffenen Güter vorgenommen werden.
Beim Enthornen von Rindern ergibt diese Verhältnismässigkeitsprüfung, dass der Eingriff für die angestrebten Ziele zwar geeignet, jedoch nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Interessen der Tierhalter – nicht hingegen bezüglich der Verletzungsgefahr für Mensch und Tier – wirklich erforderlich ist. In die anschliessend vorzunehmende Abwägung aller betroffenen Güter fallen auf Nutzerseite somit ausschliesslich wirtschaftliche Interessen ins Gewicht. Diese vermögen die erheblichen Belastungen für die Tiere bei weitem nicht aufzuwiegen. Das Enthornen stellt daher einen rechtswidrigen Eingriff in die Würde der betroffenen Tiere dar und ist aus tierschutzrechtlichen Überlegungen unzulässig.
Gegen das Enthornen spricht dabei vor allem, dass es eine gravierende Verstümmelung und somit eine Verletzung der tierlichen Integrität darstellt, die als beträchtlicher körperlicher Schaden bezeichnet werden muss. Selbst wenn der Eingriff unter Schmerzausschaltung durchgeführt wird, bedeutet er für das Tier eine irreversible und daher lebenslange Belastung. Darüber hinaus hat er aber nicht nur äusserliche Auswirkungen, sondern beeinflusst auch das Sozialverhalten der Tiere massiv. Das Enthornen bedeutet daher einen tief greifenden Eingriff sowohl in das Erscheinungsbild als auch in die Fähigkeiten, insbesondere die Verhaltensweise der Tiere. Weil die Entfernung der Hörner dazu dient, die Rinder künstlich an ein Haltungssystem anzupassen, liegt ausserdem eine übermässige Instrumentalisierung vor.
Da die Verletzungsgefahr durch grosszügig und zweckmässig gestaltete
Laufställe und gutes Management minimiert werden kann, verbleiben
wirtschaftliche Überlegungen als einziges Argument, das für ein
Enthornen von Rindern spricht. Die erheblichen Schäden, den der Eingriff
für die betroffenen Tiere bedeutet, können allein durch ökonomische
Interessen jedoch bei weitem nicht gerechtfertigt werden. Das Enthornen
von Rindern bedeutet daher eine Missachtung der Tierwürde und somit eine
Tierquälerei im Sinne des Tierschutzgesetzes.
Nach Ansicht der
TIR ist es an der Zeit, das Enthornen kritisch zu überdenken und eine
vertiefte Diskussion über tierfreundliche Alternativen zu führen.
Dr. Gieri Bolliger (TIR) erläutert die Rechtslage zum Enthornen
Weitere Informationen:
- KAGfreiland-Unterlagen zur Medienkonferenz vom 17. August 2010
- Kühe haben Hörner - Informationen zur Kampagne "Horn auf!... weil das Horn zur Kuh gehört"
- Tagesschau SF1 vom 17. August 2010: Bauern zum Umdenken bringen
- Der Landbote vom 18. August 2010: Tierschutz setzt Kühen wieder Hörner auf
- Tages-Anzeiger vom 18. August 2010: Zur Kuh gehören Hörner
- Schweiz Magazin vom 17. August 2010: Die behornte Kuh stirbt aus!
- OnlineReports vom 17. August 2010: Helvetiens enthornte Kühe träumen vom "Lovely"-Effekt
- Berner Oberländer vom 18. August 2010: Zur Kuh gehören Hörner