Auch wirbellose Tiere haben Persönlichkeit – Ausweitung des TSchG-Anwendungsbereichs überfällig
Was den meisten Tierfreunden immer schon klar war, ist nun auch wissenschaftlich erwiesen: Tiere haben eine individuelle Persönlichkeit. Und das dies nicht nur auf Hunde, Katzen und andere Wirbeltiere zutrifft, sondern ebenso auf Wirbellose, veranschaulicht der ausführliche Bericht "Auf den Menschen gekommen" von Charles Siebert (Weltwoche 22/06, Seiten 38-41) am Beispiel von an amerikanischen Verhaltensforschungsinstituten durchgeführten Untersuchungen mit Riesenkraken.
09.06.2006
Die schweizerische Tierschutzgesetzgebung verweigert sich diesen Erkenntnissen hingegen beharrlich. So wird auch das neue, voraussichtlich Mitte nächsten Jahres in Kraft tretende Tierschutzgesetz (TSchG) lediglich Wirbeltiere (d.h. Säuger, Amphibien, Reptilien, Vögel und Fische) unter seinen Schutz stellen.
Wirbellosen Tieren – die gesamthaft 95 Prozent aller bekannten Tierarten ausmachen – bleibt (bis auf wenige Ausnahmen im Tierversuchsbereich) selbst ein gesetzlicher Mindestschutzanspruch hingegen weiterhin versagt. Der Grund hierfür sei, dass bei wirbellosen Tieren eine Schmerzempfindlichkeit noch immer nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Nicht nur, dass dabei die teilweise überwältigenden Sinnesleistungen bestimmter Insektenarten oder anderer wirbelloser Tiere völlig ohne Belang bleiben; durch den Ausschluss von Wirbellosen werden auch offensichtliche Tierquälereien wie das Töten von Hummern in kochendem Wasser oder das Auflegen von Austern auf heisse Herdplatten, bis sie ihre Schalen nicht mehr zusammenhalten können, legitimiert.
Dies alles ist in der Schweiz möglich, obschon die tierliche Würde
bereits seit 1992 auf Verfassungsebene generell geschützt ist und
sämtliche Tiere zudem seit 2003 auch juristisch keine Sachen mehr sind.
In diesen Fällen hat der Gesetzgeber aber gerade gezeigt, dass
grundsätzliche (nicht an fragwürdige Trennlinien innerhalb des
Tierreichs gebundene) Regelungen sehr wohl durchsetzbar sind.
Spätestens
vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse über die Existenz von
Persönlichkeit bei Wirbellosen ist eine sinnvolle Ausweitung des
Schutzbereichs des Tierschutzgesetzes nun aber überfällig. Die Schweiz
würde damit übrigens längst nicht mehr eine Vorreiterrolle einnehmen,
sondern dem benachbarten Ausland in Tierschutzbelangen ein weiteres Mal
hinterher hinken – Deutschland und Österreich haben diesen Schritt
bereits vor einiger Zeit gemacht.