Medienmitteilung: Zahl der Tierschutzstrafverfahren steigt gegenüber dem Vorjahr wieder an – Nach wie vor erhebliche Defizite und deutliche kantonale Unterschiede bei der Verfolgung von Tierschutzverstössen feststellbar
Die Analyse der Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2018 der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) zeigt, dass nach dem erheblichen Einbruch der Fallzahlen im Jahr 2017 im Berichtsjahr mit 1'760 Entscheiden wieder eine leichte Zunahme verzeichnet werden kann. Dennoch besteht bei der Umsetzung des Tierschutzstrafrechts nach wie vor grosser Verbesserungsbedarf. So sind nach wie vor erhebliche kantonale Unterschiede festzustellen und werden Tierschutzdelikte von den Strafbehörden häufig noch immer bagatellisiert.
14.11.2019
Nach dem Einbruch der Fallzahlen im Jahr 2017, der in erster Linie auf
die Abschaffung der Sachkundenachweispflicht für Hundehaltende
zurückzuführen war, kann im Berichtsjahr mit 1'760 Entscheiden wieder
eine leichte Zunahme verzeichnet werden. Auch im Verhältnis zur
Bevölkerungszahl liegt im Berichtsjahr im Vergleich zum Vorjahr eine
Erhöhung der Anzahl durchgeführter Tierschutzstrafverfahren vor. Der
starke Anstieg der schweizweit durchgeführten Tierschutzstrafverfahren,
der während der letzten 15 Jahre insgesamt zu beobachten war, ist nach
Ansicht der TIR als Ausdruck einer Verbesserung des
Tierschutzstrafvollzugs zu werten.
Die Analyse der Fallzahlen
fördert jedoch grosse kantonale Unterschiede zutage – sowohl absolut
betrachtet als auch in Relation zur jeweiligen Wohnbevölkerung: Gemessen
an der Bevölkerungszahl wurden in den Kantonen im Jahr 2018
durchschnittlich 2.02 Verfahren pro 10'000 Einwohner geführt. Über
diesem Wert liegt etwa der Kanton Bern, der mit 338 Fällen nicht nur in
absoluter Hinsicht die meisten Fälle vorweisen kann und erneut ca. einen
Fünftel des gesamten Fallmaterials eingereicht hat, sondern mit 3.27
Verfahren pro 10'000 Einwohner auch in relativer Hinsicht den
schweizweiten Durchschnittswert deutlich übertrifft. Auch der Kanton
Aargau schneidet im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mit 3.08 Verfahren
pro 10'000 Einwohner überdurchschnittlich ab und liegt darüber hinaus
auch im Hinblick auf die absoluten Fallzahlen schweizweit an dritter
Stelle. Mit 3.74, 3.26 und 3.01 Verfahren pro 10'000 Einwohner bei
gleichzeitig hohen absoluten Fallzahlen sind weiter die Kantone Luzern,
Solothurn und St. Gallen positiv zu erwähnen. In absoluter Hinsicht hat
schliesslich der Kanton Zürich mit 281 Fällen die zweitmeisten Verfahren
geführt, während die Kantone Glarus (6.93), Obwalden (3.17) und Uri
(3.02) mit ihren proportionalen Werten hervorstechen. Die wenigsten
Fälle verzeichnet 2018 der Kanton Nidwalden mit zwei
Tierschutzstrafverfahren, was lediglich 0.46 Verfahren pro 10'000
Einwohner entspricht. Weniger als 0.50 Verfahren pro 10'000 Einwohner
wurden ausserdem in den Kantonen Basel-Stadt (0.31), Jura (0.41) und
Tessin (0.48) geführt.
Gesamtschweizerisch betrachtet wurden im
Berichtsjahr erneut die meisten Tierschutzstrafverfahren wegen an
Heimtieren verübten Delikten (50.4 %) geführt. Dabei befassten sich die
Behörden am häufigsten mit Fällen, in denen Hunde betroffen waren. In
33.3 % des Fallmaterials ging es um Verstösse, die an Nutztieren
begangen wurden.
Die inhaltliche Auswertung der
Strafentscheidpraxis zeigt zudem, dass der Tierschutzstrafvollzug noch
immer erhebliche qualitative Mängel aufweist. So beispielsweise schöpfen
die Strafverfolgungsbehörden den gesetzlich vorgesehenen Strafrahmen
bei Weitem nicht aus und bereitet ihnen die Abgrenzung zwischen
Tierquälereien im Sinne von Art. 26 des Tierschutzgesetzes (TSchG) und
übrigen Widerhandlungen (Art. 28 TSchG) erhebliche Schwierigkeiten.
Darüber hinaus sind mitunter deutliche Defizite in der Anwendung allgemeiner strafrechtlicher Grundsätze, wie etwa der Abgrenzung von Vorsatz, Fahrlässigkeit und Rechtsirrtum oder der Beachtung von Kompetenzabgrenzungen zwischen den Behörden festzustellen. Immer wieder können zudem Tierschutzdelinquenten aufgrund mangelnder oder formell fehlerhafter Beweise nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Analyse des Fallmaterials belegt, dass die genannten Mängel bei jenen Kantonen weniger auftreten, die spezielle Vollzugsstrukturen und kompetente Fachstellen im Tierschutzvollzug geschaffen haben. Die entsprechenden Möglichkeiten sind dabei vielfältig. Bewährt haben sich beispielsweise spezielle Fachstellen bei der Polizei, wie sie etwa in den Kantonen Bern, Zürich, Aargau und Solothurn existieren, sowie spezialisierte Staatsanwälte, wie sie der Kanton St Gallen kennt. Von besonderer Bedeutung ist auch die Wahrung tierlicher Interessen im Strafverfahren durch Behörden oder private Organisationen. So beispielsweise kommen den Veterinärbehörden in den Kantonen Bern, Zürich und St. Gallen Parteirechte zu, wodurch sie auf Tierschutzstrafverfahren aktiv Einfluss nehmen können. Erfreulicherweise planen oder installieren immer mehr Kantone spezielle Vollzugsstrukturen im Tierschutz. Dies insbesondere auch unter dem Eindruck des Tierschutzfalls Hefenhofen.
Der schweizerische Vollzug im Tierschutzstrafrecht hat sich in den letzten 15 Jahren insgesamt deutlich verbessert. Straftaten an Tieren werden immer häufiger untersucht und sanktioniert. Dies lässt den Schluss zu, dass die Vollzugsorgane ihre Pflichten generell ernster nehmen als noch vor einigen Jahren. Diese positive Entwicklung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Schweizer Tierschutzvollzug noch immer beträchtlicher Handlungsbedarf besteht. Zum einen dürfte die Dunkelziffer nicht verfolgter Tierschutzfälle nach wie vor enorm sein. Zum anderen zeigen die tatsächlich durchgeführten Strafverfahren, dass es bei der Verfolgung und Beurteilung von Tierschutzdelikten grosse kantonale Unterschiede gibt und dass Tierschutzverstösse von den Justizbehörden häufig noch immer bagatellisiert werden. Die wichtigsten Massnahmen für eine wirksame Strafpraxis im Tierschutzrecht listet die TIR in einem Forderungskatalog am Ende ihrer Studie ausführlich auf.
Die vollständige Analyse der Tierschutzstrafpraxis 2018 finden Sie unter www.tierimrecht.org.