Massive kantonale Unterschiede bei der Verfolgung von Tierschutzdelikten – Inexistenter Tierschutzstrafvollzug im Bereich der Nutzhuhnhaltung
Gemäss der aktuellen Jahresanalyse der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat die Zahl der Tierschutzstrafverfahren mit 2397 Fällen im Jahr 2016 erneut einen Höchstwert erreicht – was auf eine erhebliche Verbesserung des Strafvollzugs schliessen lässt. Nichtsdestotrotz sind noch immer grosse kantonale Unterschiede festzustellen. Speziell untersucht wurden im diesjährigen Gutachten die tierschutzrechtlichen Bestimmungen zur Hühnerhaltung sowie die diesbezügliche Strafpraxis. Dabei zeigt sich, dass das Wohl und die Würde von Hühnern auf rechtlicher Ebene kaum Beachtung finden. Die TIR fordert mehr Konsequenz bei der Verfolgung von Tierschutzdelikten, insbesondere in Bezug auf an Hühnern begangene Verstösse, sowie griffige Vollzugsstrukturen in allen Kantonen.
16.11.2017
In absoluter Hinsicht stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Zürich (464 Fälle), der mit 3.12 Verfahren pro 10'000 Einwohner auch in relativer Hinsicht das gesamtschweizerische Durchschnittsniveau zu halten vermag. An zweiter Stelle folgt der Kanton Bern mit 335 Fällen bzw. 3.26 Verfahren pro 10'000 Einwohner. Insgesamt 193 Tierschutzstrafverfahren bzw. 3.84 Verfahren pro 10'000 Einwohner wurden im Kanton St. Gallen geführt, dessen Fälle insbesondere auch in qualitativer Hinsicht oftmals überzeugen. Gemessen an der Bevölkerungszahl stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden (7.50 Verfahren pro 10'000 Einwohner). Besonders erfreulich ist die sprunghafte Zunahme der Verfahren in den Kantonen Genf und Wallis, was dadurch zu erklären ist, dass beide Kantone erstmals die Fälle der für die Ahndung von Übertretungen zuständigen Behörden beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eingereicht haben.
Die positiven Ergebnisse in den Kantonen Zürich, Bern und St. Gallen dürften in erster Linie auf die in den betreffenden Kantonen speziell geschaffenen Strukturen zurückzuführen sein: In Zürich und Bern bestehen bei der Polizei jeweils Spezialabteilungen und in Zürich kann zudem das kantonale Veterinäramt als Partei auf Tierschutzstrafverfahren Einfluss nehmen. In St. Gallen ist sodann ein spezialisierter Staatsanwalt für die Untersuchung von Tierschutzdelikten zuständig.
Gemessen an
der Bevölkerungszahl stammen die wenigsten Fälle aus dem Kanton
Basel-Landschaft, der als einziger Kanton weniger als ein
Tierschutzstrafverfahren pro 10'000 Einwohner geführt hat. Ebenfalls nur
sehr wenige Verfahren zu verzeichnen haben die Kantone Freiburg (1.12
Verfahren pro 10'000 Einwohner) und Glarus (1.25 Verfahren pro 10'000
Einwohner).
2016 befassten sich die Behörden in 63.8 % der erfassten Entscheide mit
Delikten, die an Heimtieren begangen wurden. Rund ein Viertel aller
Verfahren hatte an Nutztieren verübte Tierschutzdelikte zum Gegenstand.
Mit 1426 Fällen waren erneut Hunde am häufigsten Opfer von
Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz. Diese Zahlen sind allerdings
insofern zu relativieren, als dass es im Berichtsjahr in 10.9 % der
Verfahren, die Tierschutzdelikte an Hunden behandelten, um mangelhafte
Beaufsichtigung ging und über die Hälfte der Hundefälle lediglich das
Nichterbringen des Sachkundenachweises betraf. In beiden Konstellationen
sind die jeweiligen Hunde regelmässig nicht direkt in ihrem Wohlergehen
beeinträchtigt.
Im Rahmen der diesjährigen Analyse der Schweizer Strafpraxis wurden die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Hühnern sowie deren strafrechtliche Umsetzung einer genaueren Betrachtung unterzogen. Der Fokus lag dabei auf der Nutzhuhnhaltung. Dabei zeigt sich, dass zur Haltung von Hühnern kaum tierschutzrechtliche Vorschriften existieren und dass ökonomische Interessen regelmässig schwerer gewichtet werden als das tierlichen Wohlergehen.
Doch nicht nur auf gesetzlicher Ebene, auch bei der strafrechtlichen Umsetzung der geltenden Bestimmungen bestehen erhebliche Defizite. So finden sich nur sehr wenige Strafverfahren, die Delikte an Hühnern zum Gegenstand hatten – in den letzten zehn Jahren betrug der Anteil Hühnerfälle lediglich 1.6 % des Fallmaterials –, was insbesondere vor dem Hintergrund der riesigen Zahl der in der Schweiz gehaltenen Hühner erstaunt. Zudem fällt auf, dass von den wenigen in der TIR-Datenbank erfassten Hühnerfällen meist gerade nicht die aus Tierschutzsicht besonders problematischen Massentierhaltungsbetriebe betroffen sind. Entsprechend wird den insbesondere an Nutzhühnern begangenen Tierschutzverstössen nach wie vor kaum Beachtung geschenkt.
Zusammenfassend besteht im Tierschutzstrafvollzug vielerorts noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Es ist völlig inakzeptabel, dass verbindliche Gesetzesbestimmungen immer wieder ignoriert und Tierschutzverstösse nicht verfolgt oder mit viel zu milden Strafen geahndet werden. In einem Forderungskatalog hat die TIR darum die acht wichtigsten Postulate für eine wirksame Strafpraxis im Tierschutzrecht aufgelistet.
Die vollständige Analyse der Tierschutzstrafpraxis 2016 finden Sie unter www.tierimrecht.org.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte
MLaw Nora Flückiger, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin, oder
MLaw Stefanie Walther, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin
unter 043 443 06 43 oder info@tierimrecht.org.