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Literatur-Detail

Titel: Am Beispiel des Hummers
Autor: Wallace David Foster
Enthalten in: --
Kategorie: Wildtiere
- Wirbellose
ISBN: 978-3-7160-2611-3
Herausgabeort: Zürich/Hamburg
Jahr: 2009
Auflage: 2
Seiten: 79
Signatur: Fos - Wildtiere: Wirbellose
Inhalt:
Rezension: Alljährlich findet im US-Bundestaat Maine ein Event statt, das ganz im Zeichen des Hummers steht, der in dieser Region bereits seit den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts industriell verarbeitet wird. Lange Zeit ein Armeleuteessen, gilt der Hummer heute als Delikatesse – ein Image, welches das Maine Lobster Festival mit der Losung “Hummer für alle” gerne korrigieren möchte: Während vier Tagen werden an diesem Gelage mit Konzerten, Familienspielen und Kochwettbewerben über 9.000 Tonnen Hummer gekocht und verzehrt.

Verloren auf einem Volksfest
2003 besuchte David Foster Wallace das Festival, um im Auftrag des amerikanischen Feinschmeckermagazins “Gourmet” eine Reportage zu verfassen. Dass daraus nicht ein herkömmlicher Bericht über gehobene Küche wurde, dürfte die Redaktion bereits im Vorfeld gewusst haben. Wallace ist kein Mann vom Fach, sondern galt schon damals als einer der wichtigsten Vertreter der postmodernen amerikanischen Literatur und stand spätestens seit Erscheinen seines Romans Infinite Jest im Jahr 1996 unter ständigem Genieverdacht (2009 ist das Buch unter dem Titel Unendlicher Spass in deutscher Sprache erschienen).

Tatsächlich nimmt Wallace in diesem rund 60-seitigen Text vorwiegend eine Aussenperspektive ein. So richtig wohl mag ihm auf diesem Volksfest nämlich nicht sein, wie schon auf den ersten Seiten deutlich wird. Der “Reporter” (wie er sich selbst eher ironisch bezeichnet) klagt über die schlechte Organisation, die mässige Musik, fehlende Servietten und das Wetter. Und widmet sich stattdessen der wirtschaftlichen Rolle, welche die Hummerindustrie für Maine einnimmt, der biologischen Kategorisierung des Lobster und diversen Zubereitungsarten. All das tut Wallace kenntnisreich, unterhaltsam und irgendwie unbeteiligt.

Der Philosoph und der Hummer
Bis der studierte Philosoph nach etwa der Hälfte seines Essays auf die eigentliche Attraktion des Maine-Festivals zu reden kommt – auf den weltgrössten Hummerkessel – und eher beiläufig fragt: “Ist es eigentlich in Ordnung, aus reiner Freude am Genuss ein fühlendes Wesen in einen Topf mit kochendem Wasser zu werfen?”

Ab dieser Stelle beginnt ein moralischer Diskurs über die Ethik des Essens, “am Beispiel des Hummers” (der Orginaltitel der Reportage heisst “Consider the Lobster”). Wallace reflektiert über das Schmerzempfinden dieser Tiere, beschreibt ihr Verhalten in für sie bedrohlichen Situationen und hinterfragt allerhand Methoden einer mehr oder weniger “humanen” Tötung.

Dabei ist Wallace sehr betont darum bemüht, auf alles Moralisierende im moralischen Umgang des Menschen mit dem Tier zu verzichten. Was ihn umtreibt, ist dieses Unbehagen, das wohl die meisten von uns dann und wann beschleicht, wenn wir in Gedanken über den Tellerrand hinaus schweifen und in diesem Stück Fleisch das Tier erahnen – um es Augenblicke später bis auf die Knochen zu verspeisen.

Moral ohne Ende
Wie mit dieser Irritation umzugehen ist, lässt der Schriftsteller offen. Wallace liegt nicht an fertigen Lösungen, sondern am Zwiespalt, den er gegen Ende des Buches aufs Beste verdichtet.

Dort nämlich zitiert er noch einmal die Wissenschaft herbei: Offenbar können Hummer keine körpereigenen Opioide produzieren, die in Stresssituationen bekanntlich helfen, Schmerzen zu unterdrücken. Was, so Wallace, entweder bedeute, dass diese Tiere noch weit schmerzempfindlicher sind als unsereins, oder dass sie zwar Schmerzen haben, sich daran aber nicht stören.

Wallace selbst möchte am liebsten, wie er zugibt, an Zweiteres glauben. So richtig gelingen mag ihm das aber nicht. Und verweist auf das simple Faktum, welches er schon Seiten zuvor eindringlich beschrieben hat: wie der bei lebendigem Leib gekochte Hummer bis zur letzten Sekunde versucht, dem Topf zu entrinnen, wie er an den Deckel stösst und mit seinen Scheren an den Innenwänden kratzt. “Spätestens bei diesem Anblick lässt sich schwer mehr leugnen, dass hier ein lebendiges Wesen vernichtenden Schmerzen ausgesetzt ist.”

Am Ende reicht Wallace seine eigene Irritation an die LeserInnen weiter: “Denken Sie manchmal über den Wert eines Tierlebens nach – falls dieser Wert überhaupt existiert? Denken Sie auch darüber nach, dass diese Tiere leiden müssen – falls sie denn leiden?”

Antworten darauf hat der “Reporter” keine. Er wollte wissen, was wir dazu meinen.

© 2011 tier-im-fokus.ch (tif)

Quelle: http://www.tier-im-fokus.ch/rezension/wallace/
Schlagworte: Wildtiere Wirbellose Hummer Leiden Ernährung Tötung
Sprache: Deutsch / German
Medium: Buch
Verlag: Arche Literatur Verlag AG
Status: Verfügbar