Nutztiere - Veganismus
Ausgangslage
Als Nutztiere gelten gemäss Tierschutzverordnung "Tiere von Arten, die direkt oder indirekt zur Produktion von Lebensmitteln oder für eine bestimmte andere Leistung gehalten werden oder dafür vorgesehen sind". In der Schweiz wurden 2014 über 68 Millionen Tiere für den Fleischkonsum geschlachtet. Weitere Millionen Tiere dienen Milch- oder Eierlieferanten. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen, die mit der Haltung dieser Tiere einhergeht, ist es nicht verwunderlich, dass ihren Bedürfnissen in der Regel bei Weitem nicht angemessen Rechnung getragen wird.
Idealbild von Tier im Recht (TIR)
Für das Töten von Tieren zur Nahrungsmittelgewinnung fehlt eine ethisch einwandfreie Grundlage. Möchte man sich jedoch eine solche zum Massstab setzen, ist nicht nur eine vegetarische, sondern sogar eine vegane Lebensweise die Konsequenz, da im heutigen Industrieprozess Tiere auch für die Herstellung von Eiern und Milchprodukten sterben müssen. Dass die Tötung von Tieren zur Nahrungsmittelgewinnung in unserem Kulturkreis nicht gerechtfertigt ist, geht aus folgenden Überlegungen hervor:
- Der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten ist für eine gesunde Ernährung nicht erforderlich. Zahlreiche Studien kommen sogar zum Schluss, dass der Verzicht auf tierische Lebensmittel verschiedene gesundheitliche Vorteile mit sich bringt. Insofern ist der Verzehr tierischer Produkte zumindest in unserem Kulturkreis nur in Bezug auf das entsprechende Geschmackserlebnis unentbehrlich und dient somit lediglich der Befriedigung eines Luxusbedürfnisses. Ein solches vermag eine den jeweiligen artspezifischen Bedürfnissen in vielerlei Hinsicht nicht angemessen Rechnung tragende Haltung von Tieren und ihre anschliessende Tötung bei Weitem nicht zu rechtfertigen.
- Sowohl die Haltung als auch die Zucht von Nutztieren verletzen deren Würde teilweise in erheblichem Mass. Die Missachtung artspezifischer Bedürfnisse sowie die bewusste Veränderung charakteristischer Artmerkmale kommen einer Respektverweigerung gleich.
- Nutztiere werden aus wirtschaftlichen Gründen gezüchtet, gehalten, genutzt und getötet. Sie sind nur solange nützlich, wie ein finanzieller Ertrag aus ihnen erwirtschaftet werden kann. Ihrem Dasein als Lebewesen kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, womit sie auf reine Rechnungsfaktoren reduziert werden. Gerade eine solche Betrachtung von Tieren, d.h. ihre übermässige beziehungsweise fast vollständige Instrumentalisierung, soll durch die auf Verfassungs- und Gesetzesebene vorgeschriebene Achtung ihrer Würde unterbunden werden.
Kurzfristig realisierbare Forderungen
Die Tötung von Tieren im Zusammenhang mit der Gewinnung von Nahrungsmitteln wird gesellschaftlich nicht nur toleriert, sondern vom Konsumenten implizit sogar in Auftrag gegeben. Eine bewusst vegetarische oder vegane Ernährungsweise aufgrund ethischer, ökologischer, sozialer, religiöser oder gesundheitlicher Erwägungen stellt heute zwar keine seltene Erscheinung mehr dar, was auch Nachfrage und Angebot beeinflusst. Noch immer überwiegt in unserer Gesellschaft aber ganz klar die Zahl jener Menschen, die nicht auf Fleisch verzichten wollen. Die folgenden Forderungen stellen ein Minimum dessen dar, was aus der moralischen Verantwortung der Menschen gegenüber Tieren verlangt werden muss:
- Tierhaltung ist spätestens dann ethisch relevant, wenn die Anpassungsfähigkeit betroffener Tiere überfordert wird. Im internationalen Vergleich sind die Anforderungen an die Haltung von Nutztieren in der Schweiz zwar relativ hoch. Dennoch kann das gesetzlich verlangte und vielerorts praktizierte Minimum keineswegs als tiergerecht bezeichnet werden. Viele natürliche Bedürfnisse und artspezifische Verhaltensweisen werden stark eingeschränkt. Der Staat und die Bauernschaft sind gefordert, die Landwirtschaft zurück zu einer verantwortungsvollen Wirtschaftlichkeit zu führen.
- Das Tierschutzrecht und die darin festgelegten Minimalanforderungen werden noch immer in vielen (insbesondere älteren) Betrieben missachtet. Hier fehlt es an effizientem Vollzug und nicht selten an beherztem Eingreifen durch die zuständigen Behörden. Ein Problem besteht häufig auch im mangelhaften Informationsaustausch zwischen verschiedenen Kontrollorganen. Unangemeldete Kontrollen sind ebenso angezeigt wie eine konsequente Durchsetzung der geltenden Tierschutzbestimmungen, notfalls mittels empfindlicher Sanktionen, um zu vermeiden, dass Tierleid sich auszahlt.
- Verschiedene auch in der Schweiz gängige Praktiken der modernen Nutztierhaltung sind inakzeptabel, sodass hier dringend nach Lösungen gesucht werden muss. Zu denken ist beispielsweise an die in der Legehennenzucht anfallenden jährlich rund zwei Millionen "überzähligen" männlichen Küken, die einzig ihres Geschlechts wegen am ersten Lebenstag vergast oder geschreddert werden. Ebenso unhaltbar sind prophylaktische Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen wie etwa das sogenannte "Touchieren" des Schnabels bei Geflügel, das Abschleifen der Zahnspitzen bei Schweinen oder die Enthornung bei Rindern oder Ziegen. Statt Tiere durch solche Eingriffe an möglichst ökonomische Haltungsformen anzupassen, sind vielmehr Haltungsformen zu wählen, die den Tieren angepasst sind und keine erhöhte Gefahr von Verletzungen durch Verhaltensstörungen provozieren. Aber auch etwa die Trennung von Kuh und Kalb unmittelbar nach der Geburt, die weitverbreitete künstliche Befruchtung oder das komplett industrialisierte Ausbrüten von Geflügel sind mit der Achtung der Würde des Tieres nicht zu vereinbaren. Es sind Anreize für pionierhafte Bauern zu setzen, die Wege zurück zu einer naturnahen Aufzucht von Tieren suchen.
- Auch in der Schweiz sind Tiertransporte über mehrere Stunden quer durch das Land keine Seltenheit. Die Beförderungen sind mit grossen Belastungen für die Tiere verbunden. Nutztiere sind daher nicht nur im Notfall, sondern ausnahmslos im nächstgelegenen für die betreffende Tierart geeigneten Schlachthof zu schlachten. Transporte im Rahmen fragwürdiger Mast- und Zuchtsysteme sind zu verbieten. Das gilt auch für Küken, die gemäss aktueller Tierschutzverordnung bis zu 48 Stunden aus dem Ausland angeliefert werden dürfen.
- Paradoxerweise wird immer wieder versucht, Nutztiere mittels gezielter Züchtung an moderne Haltungsbedingungen zu adaptieren. Dieser Ansatz ist falsch. Die Haltungsform ist in jeder Hinsicht dem entsprechenden Tier und seinen Bedürfnissen anzupassen. Abweichungen von diesem Grundsatz sind nötigenfalls gesetzlich zu verbieten. Ebenfalls zu untersagen ist die Zucht auf immer höhere Milch-, Fleisch- oder Legeleistung. Auch bei der Nutztierzucht sollen die Würde, die Gesundheit und das Wohlergehen der betroffenen Tiere im Mittelpunkt stehen.
- Tierschutz gehört als fester Bestandteil in jede Aus- und Weiterbildung von Personen, die beruflich mit Tieren zu tun haben. Die Sensibilisierung für den Tierschutzgedanken muss aber insbesondere auch beim Konsumenten gefördert werden, der – sofern er nicht auf Fleisch und andere tierische Nahrungsmittel verzichten möchte – tierfreundlichere Produktionsformen durch sein Kaufverhalten unterstützen soll. Damit der Verbraucher eine korrekte Abwägung vornehmen kann, ist eine generelle Deklarationspflicht für in- und ausländische Produkte einzuführen; Etikettenschwindel ist streng zu sanktionieren..
- Die Förderung des Tierschutzgedankens hat u.a. durch den Staat zu erfolgen und sollte sich im Sinne eines Kreislaufs in Werbung, Konsumentenschutz, Landwirtschafts- und Handelsförderung niederschlagen. Insbesondere sind öffentliche Anstalten und Einrichtungen zu verpflichten, ausschliesslich tierische Erzeugnisse aus Schweizer oder kontrollierbarer ausländischer Produktion zu beziehen, bei der die gesetzlichen Mindestanforderungen bezüglich des Umgangs mit Tieren weit überschritten werden
Antworten auf gängige Argumente von Kritikern
- Der Verzehr von Fleisch ist nicht nur natürlich, sondern in "vernünftigem Mass" auch förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen. Eine vegetarische oder vegane Ernährung in der Kindheit kann sogar schädliche Folgen hervorrufen.
Insbesondere in ärmeren Regionen ernährt sich ein grosser Teil der Bevölkerung fast ausschliesslich vegetarisch. Mangelerscheinungen, die in Entwicklungsländern häufig vorkommen, sind allerdings nicht auf die vegetarische oder vegane, sondern auf die (eines dürftigen Nahrungsmittelangebots wegen) sehr einseitige Ernährung zurückzuführen. Zahlreiche Studien deuten zudem darauf hin, dass das Risiko für das Auftreten vieler in Industrieländern wie der Schweiz verbreiteter gesundheitlicher Probleme wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, verschiedene Krebsarten, Fettleibigkeit, Osteoporose oder Arthrose durch den Konsum von Fleisch und/oder Milch – teilweise deutlich – steigt. Überdies kann Kuhmilch aufgrund ihrer ungeeigneten und auf die Bedürfnisse des Kalbes ausgerichteten Zusammensetzung insbesondere bei Kindern Probleme wie Blähungen, Unterleibschmerzen oder Durchfall verursachen.
Die die weltweit grösste Organisation von Ernährungsexperten, die Academy of Nutrition and Dietetics, schreibt in ihrem Positionspapier zu vegetarischen Ernährungsformen:
"Es ist die Position der Academy of Nutrition and Dietetics, dass gut geplante vegetarische Ernährungsformen, inklusive streng vegetarischer oder veganer Ernährungsformen, gesund und nährstofftechnisch angemessen sind sowie Gesundheitsvorteile bezüglich der Prävention und Behandlung von gewissen Gesundheitszuständen haben können. Gut gestaltete vegetarische Ernährungsformen sind für Personen während aller Lebensabschnitte, inklusive Schwangerschaft, Stillzeit, Säuglingsalter, Kindheit und Jugend sowie für SportlerInnen geeignet." - Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen. Dies war auch entscheidend für die Entwicklung unseres Gehirns.
Tatsächlich gehen viele Forscher davon aus, dass der Fleischkonsum und die damit verbundene Proteinzufuhr einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des menschlichen Gehirns gleistet haben. In der heutigen Zeit ist es jedoch zumindest in unserem Kulturkreis ohne Weiteres möglich, den Nährstoffbedarf des menschlichen Organismus auch ohne tierische Produkte zu decken. Insofern ist der Hinweis auf den Zusammenhang von Fleischkonsum und menschlicher Entwicklung aus gesundheitlicher Sicht kein überzeugendes Argument dafür, wieso wir auch heute noch Fleisch essen sollten.
Weiter stellt der Umstand, dass der Mensch schon immer Fleisch gegessen hat, auch keine ethische Rechtfertigung für die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken dar. Schliesslich ist angesichts der Tatsache, dass wir uns bei anderen ethischen Fragestellungen auch nicht am Verhalten des Menschen in vorzivilisatorischen Epochen orientieren, nicht einsehbar, weshalb wir dies ausgerechnet in Bezug auf den Fleischkonsum tun sollten. - Wollen die Schweizer Landwirte in Zukunft überleben, so haben sie sich den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im internationalen Umfeld anzupassen. Darüber hinaus gehende tierschützerische Forderungen sind illusorisch und bauernfeindlich.
Tierschützerische Forderungen nach einem ethisch verantwortbaren Umgang mit Nutztieren sind keineswegs bauernfeindlich. Ganz im Gegenteil fördern die wirtschaftlichen Bestimmungen von internationaler Bedeutung das Aussterben kleiner und mittlerer Betriebe, indem immer weitergehende Spezialisierungen gefragt sind. Der Verlust unzähliger Arbeitsplätze aufgrund rationeller Produktionssysteme ist die Folge. Diesem globalen Trend gilt es mittels hoher Qualitätsstandards entgegenzuwirken. Ein respektvoller Umgang mit Tieren ist ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsanspruchs und kann daher nicht als illusorisch bezeichnet werden. Er erfordert aber eine entsprechende Einstellung sowie breite Unterstützung durch Staat, Wirtschaft und Bevölkerung. Im Übrigen führen Tierschutzauflagen in der Nutztierhaltung nicht vorwiegend zur Verteuerung der Produktion. Vielmehr können sie sogar verschiedene kostenintensive Faktoren wie haltungsbedingte Krankheiten, Verletzungen und Verhaltensstörungen ausschalten.
- Für die Umstellung sämtlicher Produktionsbetriebe auf "Bio" ist in der Schweiz kein Platz vorhanden.
Eines der Hauptumweltprobleme, die mit der Nutztierindustrie zusammenhängen, ist der Anbau gewaltiger Mengen an Futtermittel für die problematisch hohen Tierbestände. Massentierhaltung erfordert damit weit mehr Fläche als eine extensive, ressourcenschonende und klimafreundliche Beweidung. Die schweizerische Landschaftsstruktur kommt einer tierfreundlichen und auf verhältnismässige Gruppengrössen angepassten Haltung mit artgerechter Fütterung entgegen. Auch die wirtschaftlichen Ziele sind in der Schweiz zwangsläufig auf Qualität statt Quantität ausgerichtet. Aktuell gilt für angebunden gehaltenes Rindvieh ein Auslaufgebot von mindestens neunzig Tagen im Jahr, was bedeutet, dass die entsprechenden Weiden und Ausläufe bereits heute bereitgestellt werden müssen. Weitergehende Anstrengungen werden vom Bund finanziell honoriert, obschon Bewegung, freier Sozialkontakt und frische Luft lediglich Grundbedürfnisse der betroffenen Tiere abdecken und damit als Mindestforderungen zu sehen sind. Verlangt wird in erster Linie eine gewisse Sensibilität gegenüber den natürlichen Bedürfnissen der Nutztiere. Das ist weder illusorisch noch hinsichtlich der natürlichen Gegebenheiten unrealistisch, sondern schlicht vernünftig. - Die einzige wirklich den Bedürfnissen der Tiere entsprechende Haltung, die Freilandhaltung sämtlicher Nutztiere, würde untragbare Grundwasserbelastungen verursachen.
Massentierhaltung ist eine der Hauptursachen für die massive globale Boden-, Gewässer- und Luftverschmutzung. Wenngleich die Schweiz angesichts der weltweiten Viehwirtschaft prozentual nur eine kleine Schuld an diesen Umweltproblemen trägt, befreit sie dies nicht von ihrer grundsätzlichen Verantwortung. Das Problem der Entsorgung anfallender Jauche und der damit zusammenhängenden Grundwasserbelastung stellt sich allein aufgrund der hohen Anzahl gehaltener Tiere, unabhängig von ihrer Haltungsform. Selbstverständlich müssen gewisse Regeln zur Schonung des Grundwassers auch bei Freilandhaltung beachtet werden – wie dies auch für die allgemeingängige Jaucheverteilung auf den Feldern erforderlich ist. - Misst man den Bedürfnissen von Nutztieren einen derart hohen Stellenwert zu, bedeutet dies, dass grössere Tierherden nicht mehr gehalten werden können. Wie soll dieses Defizit gedeckt werden?
Konventionelle Massentierhaltungen sehen sich verschiedenen Problemen gegenübergestellt. Insbesondere fördern sie in hohem Masse die Entstehung und Verbreitung ansteckender Krankheiten und Seuchen, wie die Kostenfolgen haltungsbedingter Krankheiten, Verletzungen und Verhaltensstörungen eindrücklich belegen. Zur Vorbeugung oder als Folge werden die Nutztiere medikamentös behandelt, im Falle des Ausbruchs einer Seuche gar massenweise getötet und als Abfall verbrannt. Zur Verletzung der Tierwürde hinzu tritt ein gesundheitlicher Aspekt: Medikamentenrückstände in tierischen Erzeugnissen können die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. Der aktuelle durchschnittliche Fleischkonsum in Industrieländern liegt weit über einem vernünftigen Mass – mit verheerenden Folgen für die betroffenen Tiere, die Umwelt, die Gesundheit und letztlich auch für die Sicherstellung der Ernährung der wachsenden Bevölkerung. Eine Reduzierung des Tierbestands mit gleichzeitiger Erhöhung des Qualitätsstandards ist also dringend angezeigt.
© Tier im Recht, Dezember 2016
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