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Interne Fallnummer: LU21/003
Entscheidform: Urteil Kanton: Luzern
Entscheidende Instanz: Kantonsgericht Datum: 7. Januar 2021
Öff. Verfahrensnummer: 4M 20 6
Instanzenweg: Vorinstanz: Bezirksgericht Willisau (2Q4 19 13 / SA3 17 4992 35; Fall wurde der TIR nicht zugestellt) und Staatsanwaltschaft (Fall wurde der TIR nicht zugestellt)
Straftatbestand: Tierquälerei
- Misshandlung
TIR-Fallgruppe: Sport- und Hobbytiere
- Pferde/Ponys: Misshandlung
Strafbestimmung TSchG: 26 Abs. 1 lit. a
Strafbestimmung TSchG (alt):
Übertretung/Vergehen:
Übertretung
Vergehen
Reines Tierschutzdelikt: Ja
Tierart: Säugetiere
- Pferd
Lebensbereich: Sport- und Hobbytiere
Sachverhalt: Der Beschuldigte fügt während mehreren Trainingseinheiten seinen beiden Pferden übermässige Peitschenhiebe zu. Durch die heftigen Hiebe mit der Dressurpeitsche erleidet ein Pferd blutende Verletzungen am Unterbrauch sowie im Bereich der Kniefalten. Auch Tage später sind an diesen Stellen deutliche, odematöse und schmerzhafte Schwellungen und Schürfungen ersichtlich. Trotz dieser Verletzungen wird dieses Pferd vom Beschuldigten jeden Tag geritten. Auch auf das andere Pferd wird mit übermässigen Peitschenhieben eingewirkt während es an die Wand gestellt wird, sodass dieses offene, blutende Wunden und Schwellungen am Unterbauch erleidet.
Vorsatz/Fahrlässigkeit
Vorsatz
Eventualvorsatz
Fahrlässigkeit
Verletzte Bestimmung: Tierschutzgesetz (TSchG): Tierschutzverordnung (TSchV):
Tierschutzgesetz (TSchG) alt Tierschutzverordnung (TSchV) alt
Richtlinien
Weitere Erlasse
Strafe: Geldstrafe
- bedingt

105 Tagessätze à Fr. 160
Probezeit: 2 Jahre
Massnahmen:
Grundbegriffe des Tierschutzrechts: Misshandlung
Schmerzen
Das Kantonsgericht führt aus, dass ein Training für den Spitzensport naturgemäss eine gewisse Härte erfordere. Den Pferden würde viel abverlangt, um erfolgreich zu sein. Ungehorsam oder eine Verweigerungshaltung eines Pferdes sei daher zu sanktionieren, was unter Umständen den Einsatz von Hilfsmitteln, wie Gerten, erforderlich mache. Dabei komme es auch auf den Charakter eines Pferdes an. Der Gebrauch der Peitsche sei immer dann unangemessen und somit tatbestandsmässig, wenn das Pferd durch die Handlungen Verletzungen oder Schlagstriemen respektive Schwellungen erleide.

Nach Auffassung des Kantonsgericht sei es notorisch, dass Pferde nur in Extremfällen Schmerz äusserlich wahrnehmbar zum Ausdruck bringen. Ausserdem würden Pferde, insbesondere solche mit Auslauf draussen, immer wieder gewisse Spuren am Fell aufweisen. Dies seien die Risiken bei einer solchen Tierhaltung.
Täter:
Rechtfertigungsgründe:
Schuldausschlussgründe:
Strafzumessung: Mehrfachbegehung
Verschulden
Vorstrafen
Die Staatsanwaltschaft geht in vorliegendem Fall von einer Mehrfachbegehung aus. Diese wirkt sich straferhöhend auf das Strafmass aus. Der Beschuldigte ist bereits vorbestraft (Fahren in fahrunfähigem Zustand; Fall nicht in der Datenbank enthalten). Dies wurde nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt.

Das Gericht ordnet das Verschulden des Täters im unteren bis mittelschweren Bereich ein. Bei der Festsetzung des Strafmasses wirkt sich die Vorverurteilung des Beschuldigten durch die Medienberichtserstattung leicht strafmindernd aus, da dadurch seine Unschuldsvermutung verletzt worden sei. Der Strafvollzug ist bedingt, da dem Beschuldigten aufgrund der gravierenden Nebenfolgen seiner Verurteilung keine ungünstige Prognose bezüglich weiterer künftiger Verbrechen oder Vergehen gestellt werden kann. Eine Verbindungsbusse wird mit Blick auf die fehlende einschlägige strafrechtliche Vorbelastung des Beschuldigten und mangels gegenteiliger Anzeichen aus spezialpräventiven Aspekten nicht als notwendig erachtet.
Besonderheiten des Falles: Beweismittel
Freispruch
Der ehemalige Arbeitnehmer hat heimlich Fotos von den Wunden am Bauch des Pferdes aufgenommen und diese an Polizei und Medien weitergeleitet. Das Gericht diskutiert, ob dies eine Verletzung der Geheim- bzw. Privatsphäre des Beschuldigten darstellt. Es hält dazu fest, dass für eine Verletzung entscheidend sei, ob eine Überwindung eines Hindernisses (körperlich oder moralisch-rechtlich) stattgefunden habe oder ob die Personen die gleiche Privatsphäre teilen würden. Als Angestellter habe der Arbeitnehmer kein solches Hindernis überwinden müssen, er und der Beschuldigte würden sich am Arbeitsplatz dieselbe Privatsphäre teilen, womit die Fotos verwertbar seien. Ausserdem seien lediglich die Wunden des Pferdes sichbar gewesen. Welchen Bezug die Abbildung einer Körperstelle eines Pferdes zur Pirvatsphäre des Beschuldtigen habe, sei nicht ersichtlich. Auch die Anhaltspunkte für eine mögliche Manipulation der Fotos liessen sich nicht erhärten. Daher seien die Fotos als Beweise verwertbar.

Dem Antrag des Beschuldigten noch andere Pensionäre einzuvernehmen, kommt das Gericht nicht nach, da diese Personen sich lediglich sporadisch auf dem Hof aufhalten würden und daher keine zuverlässigen Aussagen betreffend allfälliger Misshandlungen treffen könnten. Auch der Antrag ein unabhängiges Gutachten einer Fachstelle für Veterinärmedizin einzuholen wird abgelehnt, weil der Sachverhalt laut Gericht genügend erstellt ist.

Gemäss Amtsbericht des Veterinärdienstes würde im Rahmen der Untersuchungen vor einem Turnier primär Angaben zur Ausfertigung von Zollpapieren gemacht und die Identität des Pferdes festgestellt werden. Weiter würde sichergestellt werden, dass das Tier nicht an einer Krankheit, insbesondere übertragbarer Natur leide. Es würden einzig die Gänge Schritt und Trab sowie eine Untersuchung der Gliedmassen der Pferde vorgenommen, um die Frage einer allfälligen Lahmheit zu klären. Soweit andere Befunde erkennbar wären, würden diese in die Gesamtbeurteilung einfliessen. Gegenstand von solchen Kontrollen sei nicht eine generelle Untersuchung des Allgemeinzustandes eines Tieres oder Verletzungsbilder festzustellen, die auf eine Misshandlung des Pferdes zurückzuführen seien.

Vorliegend wird der Beschuldigte vom Vorwurf der mehrfachen vorsätzlichen Tierquälerei nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG gegenüber dem Pferd "Lord Pepsi" anlässlich zweier Vorfälle im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 freigesprochen, da die Vorfälle nicht genügend konkretisiert und bewiesen sind und daher der Grundsatz in dubio pro reo zur Anwendung gelangt. Die ausgesprochene Strafe bezieht sich daher lediglich auf die Vorfälle begangen gegenüber dem Pferd "Castlefield Eclipse" am 28. April 2016 und eine Woche davor, sowie gegenüber Pferd "Lord Pepsi" im Herbst 2015.
Kommentar: Gegen den Beschuldigten erging 2017 bereits ein Strafbefehl wegen mehrfacher Tierquälerei. Er wurde zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilt. Dagegen erhob er fristgerecht Einsprache, worauf die Anklagebehörde die Strafuntersuchung ergänzte. 2019 erging ein zweiter Strafbefehl wegen mehrfacher Tierquälerei, wobei das Strafmass dasselbe blieb. Dagegen erhob der Beschuldigte erneut Einsprache. Gegen das Urteil des Bezirksgerichts, das den Beschuldigten straferhöhend verurteilte, liess er Berufung erklären.

Das Kantonsgericht folgt der Meinung des Bundesgerichts, wonach es sich bei der Vernachlässigung in Bezug auf die Beeinträchtigung des Wohlergehens um ein Erfolgsdelikt handle. Das Bundesgericht begründet diese Ansicht damit, dass eine Vernachlässigung aufgrund des Wortlauts von Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG nur dann vorliegen könne, wenn sie mit einer Würdemissachtung einhergehe. Dies wiederum sei dann der Fall, wenn das Wohlergehen des Tieres beeinträchtigt sei, weil Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängste nicht vermieden werden könnten (siehe etwa BGer 6B_653/2011 vom 30. Januar 2012). Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. So ist insbesondere die Auffassung, dass bei der Prüfung der Vernachlässigung in einem separaten Schritt untersucht werden müsse, ob die Voraussetzungen an die Missachtung der Tierwürde erfüllt seien, nach Ansicht der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) nicht zutreffend. Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG bringt vielmehr zum Ausdruck, dass es sich bei der Vernachlässigung um eine bestimmte Erscheinungsform der Würdemissachtung handelt. Die Tierwürde wird bei einer Vernachlässigung also per se schon missachtet. Eine zusätzliche Prüfung, ob eine Würdemissachtung vorliegt, ist daher nicht erforderlich. Die Vernachlässigung ist im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 TSchG zu sehen, der Haltern und Betreuern von Tieren gewisse Fürsorgepflichten auferlegt. Wer diesen nicht nachkommt, begeht eine Vernachlässigung nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG (siehe etwa BGer 6B_660/2010 vom 8. Februar 2011, E. 1.2.1). Das Deliktsmerkmal der Vernachlässigung liegt also allein in der Missachtung der Fürsorgepflicht und der dadurch erhöhten Möglichkeit einer Beeinträchtigung des tierlichen Wohlergehens. Dass sich beim Tier Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängste tatsächlich manifestieren, ist nach der hier vertretenen Meinung hingegen nicht erforderlich. Treten solche Belastungen auf, ist der Tatbestand der Misshandlung durch Unterlassen zu prüfen. Bei der Vernachlässigung handelt es sich hinsichtlich der Wohlergehensbeeinträchtigung folglich – entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung – um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.