Stiftung für das Tier im Recht

Rigistrasse 9

CH-8006 Zürich

Tel: +41 (0) 43 - 443 06 43

Fax: +41 (0) 43 - 443 06 46

E-Mail

info@tierimrecht.org

Internet

www.tierimrecht.org



Straffälle-Datenbank

Interne Fallnummer: BE20/262
Entscheidform: Strafbefehl Kanton: Bern
Entscheidende Instanz: Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau Datum: 29. Dezember 2020
Öff. Verfahrensnummer: EO 20 12159
Instanzenweg:
Straftatbestand: Missachtung der Vorschriften über die Tierhaltung
Tierquälerei
- Vernachlässigung
TIR-Fallgruppe: Allgemeines
- Nichtbehandeln von Krankheiten oder Unterlassen der Tötung von Tieren
Nutztiere
- Kälber: Anbindehaltung
- Kälber: Haltung in zu kleinen Boxen
- Kälber: mangelhafte Haltung, Pflege oder Nährung
- Rindvieh: Anbinden von Stieren am Nasenring
- Rindvieh: Einsatz eines unzulässigen Kuhtrainers
- Rindvieh: mangelhafte Haltung, Pflege oder Nährung
- Rindvieh: Misshandlung
- Rindvieh: Nichtgewähren der notwendigen Bewegungsmöglichkeit bei Anbindehaltung / fehlendes oder fehlerhaftes Auslaufjournal
- Rindvieh: Vernachlässigung
Strafbestimmung TSchG: 26 Abs. 1 lit. a
26 Abs. 2
28 Abs. 1 lit. a
Strafbestimmung TSchG (alt):
Übertretung/Vergehen:
Übertretung
Vergehen
Reines Tierschutzdelikt: Nein
Tierart: Säugetiere
- Kalb
- Kuh
- Rind
Lebensbereich: Nutztiere
Sachverhalt: Der Beschuldigte unterlässt es, die Anbindehaltung seines Stiers regelmässig zu überprüfen und an dessen Körpermass anzupassen. In der Folge wächst das Strickhalfter des Stiers ein und das Nasenband des Strickhalfters verschiebt sich. Der Nasenring ist beinahe ausgerissen und an einer Stelle geöffnet und der Stier hat eine Läsion auf der Nase, unter die sich das Nasenband geschoben hat. Die Hinterhand des Tieres ist schwach bemuskelt. Der Beschuldigte unterliess es einen Tierarzt zu konsultieren. Im Weiteren hat es der Beschuldigte unterlassen, dem Stier, sofern sich dieser im Stall aufhält, angemessene Sozialkontakte zu seinen Artgenossen zu gewähren.
Zudem befindet sich eine Kuh des Beschuldigten in einem miserablen Allgemeinzustand. Ihr Rücken ist aufgekrümmt und im Bereich des Vorderfusswurzelgelenkes weist sie eine Schwellung auf. Beim Abtasten des veränderten Bereichs empfindet die Kuh Schmerzen und weicht einer weiteren Berührung aus. Das hintere rechte Bein ist im Bereich Kronsaum bis Fessel geschwollen, die Klaue ist eingebunden. Beidseits der Hüfte werden Läsionen der Haut festgestellt, rechts mit Schwellung.
Des Weiteren bringt der Beschuldigte am Viehtrainer eines Kuhstandplatzes eine elektrisierende Metallkette an, in der Absicht, eine Verschmutzung der Kuh sowie der benachbarten Tiere zu verhindern. In der Folge ist die Kuh in ihrer seitlichen Bewegung eingeschränkt und erleidet bei entsprechenden Bewegungen Stromschläge.
Ferner hält der Beschuldigte sieben Kälber in zwei Laufställen, die kein dauernden Zugang zu Wasser und Raufutter haben. Auch bei der Nachkontrolle hat ein Kalb kein Wasser. Bei einer weiteren Kontrolle ist das Tränkebecken der Kälber in der Neuenschwandgerbe derart verschmutzt, dass sich kein Wasser mehr darin befindet. Weiter haben zwei Kälber, die sich in einer Kälberbox befinden, kein Zugang zu Raufutter bzw. ist gar keine Fütterungseinrichtung vorhanden. Auch an einem anderen Standort ist ein Kalb ohne Wasser vorzufinden. Es ist zudem angebunden, obwohl es jünger als vier Monate ist. Auch ist auf einem Platz für Kühe eine Metallkette am Viehtrainer angebracht.
Der Beschuldigte unterschreitet zudem die Mindestmasse bei der Haltung von Rindvieh und vernachlässigt die Fellpflege seiner Tiere, so dass ein Stier und insgesamt vier Kühe sowie zwei Kälber und weitere Tiere stark verschmutzt und ohne Einstreu vorgefunden werden.
Auch der Liegebereich der Tiere ist ungenügend sauber bzw. mit einer dicken Schicht Mist belegt, der sich ebenfalls in den Stalleingängen türmt. Der Boden auf der Kälberweide ist massiv mit Morast sowie Kot verschmutzt. Die Krippe des Stiers ist mit altem Futter, Mist sowie Erde verunreinigt, eine eingestreute Liegefläche ist nicht vorhanden. Die Tränkebecken sind verschmutzt und im Liegebereich ist ungenügend Stroh vorhanden. In einem weiteren Stall herrscht grosse Unordnung. Beim Miststock läuft die Gülle auf den Hausplatz und die Weide hinunter.
Zudem befinden sich auf der Weide diverse Gegenstände (Holzbretter bzw. Zaunlatten, Gülleschläuche etc.), die eine potentielle Verletzungsgefahr für die Tiere darstellen.
Vorsatz/Fahrlässigkeit
Vorsatz
Eventualvorsatz
Fahrlässigkeit
Verletzte Bestimmung: Tierschutzgesetz (TSchG): Tierschutzverordnung (TSchV):
Art. 3 lit. b
Art. 4 Abs. 1
Art. 4 Abs. 2
Art. 6 Abs. 1
Art. 6 Abs. 2
Art. 7 Abs. 2
Art. 10 Abs. 1
Art. 16 Abs. 1
Art. 212b
Art. 2 Abs. 3 lit. e
Art. 34 Abs. 1
Art. 35
Art. 37 Abs. 1
Art. 37 Abs. 4
Art. 38 Abs. 1
Art. 38 Abs. 2
Art. 38 Abs. 3
Art. 3 Abs. 1
Art. 3 Abs. 3
Art. 3 Abs. 4
Art. 5 Abs. 1
Art. 5 Abs. 2
Art. 7 Abs. 1 lit. a
Art. 7 Abs. 1 lit. b
Art. 7 Abs. 2
Art. 8 Abs. 2
Tierschutzgesetz (TSchG) alt Tierschutzverordnung (TSchV) alt
Richtlinien
Weitere Erlasse
Tierseuchengesetz (TSG, SR 916.40)
Tierseuchenverordnung (TSV, SR 916.401)
Strafe: Busse
Geldstrafe
- bedingt

Fr. 1800
Bei Nichtbezahlen der Verbindungsbusse tritt die Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Tagen in Kraft.

35 Tagessätze à Fr. 30
Probezeit: 2 Jahre
Massnahmen:
Grundbegriffe des Tierschutzrechts:
Täter:
Rechtfertigungsgründe:
Schuldausschlussgründe:
Strafzumessung: Besonderheiten
Mehrfachbegehung
Die Staatsanwaltschaft führt Folgendes aus: Der Beschuldigte ist mit seiner Tierhaltung an drei verschiedenen Standorten offensichtlich überfordert, weshalb er seine Zustimmung zur Einsetzung einer Begleitgruppe gegeben hat, welche ihn bei der Planung und Durchführung der notwendigen Massnahmen unterstützen kann. Dies wurde bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt.

Die Staatsanwaltschaft geht in vorliegendem Fall von einer Mehrfachbegehung aus. Es ist unklar, ob sich die Mehrfachbegehung auf das Strafmass auswirkte.
Besonderheiten des Falles: weitere Delikte
Durch sein weiteres Verhalten verstösst der Beschuldigte zudem gegen die Tierseuchengesetzgebung (Nicht- oder unkorrektes Kennzeichnen von Klauentieren (Kälber), was sich ebenfalls auf die auszusprechende Strafe auswirkt.
Kommentar: Das Täterverhalten (Unterlassene Pflege eines Stiers durch Einwachsenlassen der Anbindevorrichtung; unterlassene Behandlung von kranken bzw. verletzten Tieren durch Unterlassen der nötigen Pflegehandlungen; Verwenden einer elektrisierenden Vorrichtung bei der Rindviehhaltung) hätte hier nach Ansicht der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) wegen der Garantenstellung des Beschuldigten aus seiner Fürsorgepflicht als Tierhalter gemäss Art. 6 Abs. 1 TSchG als Misshandlung (durch Unterlassen) i.S.v. Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG (i.V.m. Art. 11 Abs. 2 lit. a StGB) und nicht als Vernachlässigung qualifiziert werden müssen.

Vorliegend hätte auch das weitere Täterverhalten in Bezug auf die Kälberhaltung ohne dauernden Zugang zu Wasser und Raufutter, die verbotene Anbindehaltung von Kälbern im Alter von unter vier Monaten, das Unterschreiten der Mindestmasse bei der Haltung von Rindvieh, die ungenügende Fellpflege beim Rindvieh, die ungenügende Pflege und Reinhaltung der Haltungseinrichtungen und das Halten von Tieren in Gehegen mit Gegenständen, die Verletzungsgefahren darstellen, nach Ansicht der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) statt unter Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG wegen der Garantenstellung des Beschuldigten aus seiner Fürsorgepflicht als Tierhalter gemäss Art. 6 Abs. 1 TSchG unter die Tierquälerei-Tatbestandsvariante der Vernachlässigung gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG subsumiert werden sollen. Vergehen, zu denen auch Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG gehört, sind gemäss Art. 10 Abs. 3 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht.