TIR informiert über tierschutzrechtliche Bestimmungen im Pferdesport
In der Schweiz finden regelmässig nationale und internationale Pferdesportveranstaltungen statt, zuletzt die FEI World Cup Finals 2025 in Basel. Veranstaltungen mit Pferden stehen nicht nur im Fokus der Öffentlichkeit, sondern auch häufig in der Kritik, nicht tierschutzkonforme Methoden oder Hilfsmittel zuzulassen. TIR informiert über die in der Schweiz geltenden tierschutzrechtlichen Bestimmungen und ein mögliches Vorgehen, sollten Zuschauende Missstände beobachten.
07.04.2025
Am Beispiel der Rollkur/Hyperflexion wird der Unterschied deutlich: Das Schweizer Tierschutzrecht nennt in der Tierschutzverordnung (TSchV) explizit verbotene Handlungen bei Equiden. Methoden, mit denen eine Überdehnung des Equidenhalses oder -rückens bewirkt wird (Rollkur) sind nach Art. 21 TSchV seit 2014 in der Schweiz ausdrücklich verboten. Damit geht die Schweizer Gesetzgebung weiter als die Internationale Reiterliche Vereinigung FEI, die zwar die Rollkur verbietet, aber die sehr ähnliche Methode Low-Deep-Round (LDR) für bis zu 10 Minuten zulässt. Gemäss FEI-Reglement besteht der Unterschied der Methoden darin, dass LDR ohne Aggressivität ausgeführt werde und daher akzeptabel sei. Die Einschätzung der FEI hat für die tierschutzstrafrechtliche Beurteilung keine Relevanz. Auch wenn die FEI die sogenannte LDR-Methode für eine gewisse Zeit toleriert, bedeutet es nicht, dass sie nach Schweizer Recht zulässig ist.
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) erläutert in seiner 2024 publizierten Fachinformation Tierschutz 11.10 die Merkmale der Rollkur als "besonders tiefe Kopf-Hals-Einstellung und ein überspannter Rücken, die durch gewaltsame Einwirkung der Hand des Reiters und / oder von Hilfsmitteln erzwungen werden. […] Tierschutzrelevant sind Extremfälle, bei denen die falsche Einwirkung des Reiters bzw. falsche Verwendung des Hilfsmittels sowie die unnatürliche Haltung des Pferdes oder Ponys offensichtlich sind". Eine aktuelle Metastudie, die insgesamt 58 Studien berücksichtigt, weist nun darauf hin, dass nicht nur Extremfälle, sondern jegliche erzwungene Kopfpositionen hinter der Senkrechten problematisch sind. Im Rahmen der Auslegung der tierschutzrechtlichen Normen haben die Vollzugsbehörden und die Justiz wissenschaftliche Erkenntnisse beizuziehen und – soweit sie weder dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der Bestimmung zuwiderlaufen – zu berücksichtigen. Es ist künftig daher von einer deutlichen Verschärfung in der praktischen Umsetzung insbesondere von Art. 21 lit. h TSchV auszugehen.
Mit einer gewaltsam durch menschliche Hand herbeigeführten Überzäumung, bei der sich der Pferdekopf hinter der Senkrechten befindet, geht in manchen Fällen ein zusätzliches Tierschutzproblem einher, das sich in einer blau angelaufenen Pferdezunge zeigt. Die Zunge wird im Pferdesport häufig als "Polster" oder "Kissen" für das Gebissstück im Maul des Pferdes verstanden. Sie soll den Druck der Metallstange auf den Unterkieferknochen abmildern, damit er dort keine Schmerzen verursacht. Als Tastorgan ist die Pferdezunge jedoch selbst stark durchblutet und mit empfindlichen Nerven durchzogen. Wird einem Pferd durch zu starke Zügeleinwirkung die Zunge so gequetscht, dass dadurch die Blutzufuhr abgeklemmt wird, handelt es sich um eine Misshandlung. Gemäss Schweizer Tierschutzstrafrecht gilt eine Misshandlung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG als Tierquälerei. Eine Misshandlung liegt vor, wenn einem Tier durch eine Handlung Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängste von einer gewissen Intensität zugefügt werden. Sie kann dementsprechend auch dann vorliegen, wenn sie nicht zu Blutungen oder offenen Wunden führt. Eine fortdauernde oder sich wiederholende Zufügung von Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängsten ist ebenfalls nicht notwendig. Für die Erfüllung des Tatbestands kann auch das einmalige Verursachen einer Belastung ausreichen.
Trotz explizitem Verbot kam es bislang noch zu keiner Verurteilung wegen Hyperflexion. Seit 2003 erhält die TIR über das BLV Einsicht in alle Tierschutzstrafverfahren und erfasst diese in anonymisierter Form in einer eigenen Datenbank, wo sie online eingesehen werden können. Gestützt auf das erfasste Fallmaterial erstellt TIR eine Statistik, deren Erkenntnisse sie jeweils in einem ausführlichen juristischen Gutachten zusammenfasst. Bezüglich Rollkur sind in der Datenbank nur gerade zwei Strafentscheide enthalten, wobei es in beiden Fällen zu keiner Verurteilung kam: Rollkur-Fälle. Ein dritter Fall wurde 2024 verhandelt, es kam zu einem Freispruch. Die Unterlagen zu diesem Urteil liegen uns bisher noch nicht vor.
Generell darf gesagt werden, dass sich die Ahndung von Tierschutzverstössen im Pferdesport schwierig gestaltet. Durch die Anwendung von druck- und schmerzerzeugenden Hilfsmitteln und aversiven Trainingsmethoden kann davon ausgegangen werden, dass es häufig zu Widerhandlungen gegen die Tierschutzgesetzgebung kommt. Allerdings zeigen sich die Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz regelmässig zurückhaltend. Hierzulande werden kaum je Strafverfahren wegen Tierquälerei im Pferdesport durchgeführt. Dies legt den Schluss nahe, dass das Tierschutzrecht im Bereich des Pferdesports sowohl von den Sportverbänden als auch von den Strafverfolgungsbehörden nicht konsequent umgesetzt wird. Wir erblicken in der aktuellen Situation ein klares Vollzugsproblem. Diese Annahme wird von einer an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich durchgeführten Untersuchung aus dem Jahre 2019 bestätigt.
Aus diesem Grund sind Meldungen aus dem Publikum besonders wichtig. Wir empfehlen Besuchenden vor Ort, genau hinzuschauen und die Verantwortlichen direkt auf Missstände hinzuweisen. Werden an einer Veranstaltung Pferde beobachtet, die durch Zwang in eine Hyperflexion gebracht werden, sollten die zuständigen Personen am Veranstaltungsort darauf aufmerksam gemacht werden, damit sie zeitnah intervenieren können. Bei Nichteinschreiten liegt das weitere Handeln im Ermessen der Augenzeugin oder des Augenzeugen. Werden dem Pferd sichtbare Schäden zugefügt, z.B. durch eine abgeklemmte Blutzufuhr (blaue Zunge), blutet es oder hat es durch die Zwangshaltung Schwierigkeiten zu atmen, sollte die Polizei hinzugezogen werden, die den Vorfall vor Ort aufnimmt. Es ist nicht gewährleistet, dass die Polizeibeamten mit dem Pferdesport und dem Verhalten von Pferden vertraut sind. Aus diesem Grund sollten die am Pferd beobachtete Mimik und etwaige Verhaltensauffälligkeiten beschrieben und erklärt werden. Es sollte auch auf das tierschutzrechtliche Rollkurverbot hingewiesen werden sowie auf den Umstand, dass die Verantwortlichen bereits darauf aufmerksam gemacht wurden, ohne zu reagieren. Hilfreich ist überdies die Aufnahme mehrerer Aussagen, d.h. (wenn möglich) von mehreren Zeuginnen aus dem Publikum.
Ist das Fehlverhalten gegenüber dem Pferd nicht derart offensichtlich, aber dennoch tierschutzrelevant, hilft es, dieses zu dokumentieren. Neben der Rollkur/Hyperflexion bestehen weitere Tierschutzprobleme wie unsachgemäss eingesetzte Hilfsmittel, unpassende Ausrüstung oder eine Überanstrengung, die strafrechtlich relevant sein können. An öffentlichen Veranstaltungen sind Film- und Fotoaufnahmen für private Zwecke zulässig, solange der Veranstalter dies nicht ausdrücklich untersagt. In strafrechtlicher Hinsicht ist das Filmen/Fotografieren nur unter den im Schweizerischen Strafgesetzbuch StGB genannten Voraussetzungen verboten, wobei das Eindringen in die Privatsphäre einer Person im Vordergrund steht. Private Fotografierverbote auf ansonsten öffentlich zugänglichem Terrain geniessen diesen Schutz nicht. Sofern die Aufnahmen nicht veröffentlicht werden, sondern allein der Weiterleitung an Behörden wie dem Veterinäramt oder der Polizei dienen, sind sie zulässig.
Auf Social Media oder auf Fotoplattformen öffentlich zugängliches Bild- und Videomaterial kann ebenfalls als Grundlage für eine Meldung an die zuständigen Behörden verwendet werden, sofern es eindeutig dem entsprechenden Anlass zuzuordnen ist. Bei jeder Meldung ist es wichtig, die Vorfälle gut zu beschreiben. Dabei sind möglichst viele Beobachtungen festzuhalten: Wie stark wurde auf das Pferd eingewirkt? Wie hat es darauf reagiert? Wurde die Einwirkung wiederholt oder dauerhaft beobachtet? Waren Stewards präsent? Ob und wie der Vorfall zu ahnden ist, liegt anschliessend im Ermessen der Untersuchungsbehörden und Gerichte. Bei Meldungen im Nachgang zur Veranstaltung ist das Veterinäramt am jeweiligen Veranstaltungsort zu kontaktieren. Eine Liste der Kantonalen Veterinärämter in der Schweiz finden Sie hier.
Weitere Informationen:
- Tierschutzverordnung Art. 21 "Verbotene Handlungen bei Equiden"
- BLV Fachinformation Tierschutz "Pferden und anderen Equiden keine Schäden und Leiden zufügen"
- TIR-Tierschutzstraffalldatenbank mit Rollkur-Fällen
- Untersuchung "Ethik im Schweizer Pferdesport: Wird der Tierschutz auf Schweizer Turnierplätzen ausreichend umgesetzt?"