Vernehmlassung zur revidierten Jagdverordnung – TIR reicht Stellungnahme ein
Der Bundesrat hat am 27. März 2024 die Vernehmlassung zur Änderung der Jagdverordnung eröffnet. Im Fokus des aktuellen Entwurfs stehen erneut die Regulierung geschützter Wildtierarten, die Organisation des Herdenschutzes sowie die Definition zumutbarer Präventionsmassnahmen zur Verhütung von Wildschäden durch Grossraubtiere und Biber. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) lehnt die Revisionsvorlage in weiten Teilen ab und hat eine kritische Stellungnahme eingereicht.
08.07.2024
Das Parlament revidierte 2022 das Jagdgesetz in mehreren Bereichen. So ermöglicht das Gesetz neu die präventive Regulierung des Wolfsbestands. Per 1. Dezember 2023 wurden die dazugehörigen Ausführungsbestimmungen – die eine massive Reduktion des Wolfbestands in der Schweiz ermöglichen – durch den Bundesrat in Kraft gesetzt. Dies, ohne ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Die TIR – sowie zahlreiche weitere Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen – hatte demnach keine Möglichkeit, zur damaligen Revision Stellung zu nehmen. In einem offenen Brief kritisierte die TIR gemeinsam mit anderen Arten- und Tierschutzorganisationen den Revisionsentwurf sowie das Vorgehen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) aufs Schärfste (vgl. TIR-Newsmeldung vom 9. November 2023). Die im damaligen Revisionsentwurf enthaltenen Änderungen sind befristet und gelten bis zum 31. Januar 2025. Deshalb hat der Bundesrat die Jagdverordnung erneut angepasst und die interessierten Kreise im Rahmen eines ordentlichen Vernehmlassungsverfahrens um Stellungnahme bis zum 5. Juli 2024 gebeten.
In ihrer Stellungnahme zur aktuellen Revision der Schweizer Jagdverordnung kritisiert die TIR den Umstand, dass der Entwurf erneut auf regulierende Eingriffe gegen geschützte Tierarten fokussiert und dabei den Schutzauftrag des Jagdrechts den Wildtieren gegenüber mehrheitlich in unzulässiger Weise ausser Acht lässt. Zwar begrüsst die TIR einzelne Anpassungen im Revisionsentwurf, wie insbesondere die Neuregelung, wonach eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Erstversorgung von verletzten Wildtieren durch Tierärztinnen und Tierärzte geschaffen werden soll. In weiten Teilen lehnt die TIR den Vorschlag des Bundesrats allerdings ab.
Der vorliegende Entwurf ist einseitig auf die Regulierung des Wolfs ausgerichtet. Die neuen Bestimmungen sollen die Entnahme ganzer Rudel legitimieren. Diese erneute Lockerung des Schutzstatus des Wolfs steht im klaren Widerspruch zu den Grundsätzen des Jagdgesetzes und der Berner Konvention, die den Wolf weiterhin als geschützte Art definieren. Die drastische Reduktion der bestehenden Wolfsrudel auf einen Mindestbestand von 12 Rudeln sowie die dafür vorgesehenen Voraussetzungen sind willkürlich, aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar und widersprechen dem Verhältnismässigkeitsprinzip. Die wichtige Rolle des Wolfs im Ökosystem wird weder im Verordnungstext noch im erläuternden Bericht berücksichtigt und ausgeführt.
Auch im Zusammenhang mit der Lösung von Konflikten mit dem Biber setzt der Revisionsentwurf auf den Abschuss störender Tiere. So sollen mit den neuen Bestimmungen Einzelabschüsse von Bibern ohne das Erreichen einer Schadenschwelle möglich werden, obwohl für eine entsprechende Regelung keine gesetzliche Grundlage im Jagdgesetz besteht. Der Umstand, dass es möglich sein soll, Wölfe, Steinböcke und Biber zu töten, bevor sie überhaupt einen konkreten Schaden oder eine konkrete Gefährdung für Nutztiere, die Umwelt oder den Menschen darstellen, widersprechen dem im Schweizer Recht verankerten Verhältnismässigkeitsprinzip (Wahl des mildesten Mittels) und lassen den in der Bundesverfassung sowie in der Schweizer Tierschutzgesetzgebung verankerten Tierwürdeschutz völlig ausser Acht.
Die TIR kritisiert zudem, dass das Ergreifen von jagdrechtlichen Herdenschutzmassnahmen auch weiterhin in der Entscheidkompetenz der Nutztierhaltenden liegen soll. Dies liegt im Widerspruch zu den tierschutzrechtlichen Verpflichtungen tierhaltender Personen, die für die in ihrer Obhut stehenden Tiere eine grosse Verantwortung tragen. Mit der Freiwilligkeit von Herdenschutzmassnahmen wird die tierschutzrechtliche Güterabwägung ausgehebelt, indem einseitig den menschlichen Interessen der Vorzug gegenüber jenen der Tiere (sowohl jenen der durch Risse betroffenen Nutztiere wie auch jenen der Grossraubtiere) gegeben wird. Ebenso kritisiert die TIR, dass der vorliegende Revisionsentwurf kein ausdrückliches Verbot von unbeaufsichtigten Geburten auf Alpen und Weiden sowie von tierschutzwidrigen Jagdmethoden – so etwa der Baujagd – vorsieht. Ebenfalls ausdrücklich verboten werden sollte der Einsatz von Bleimunition und der Alkoholkonsum im Rahmen der Jagdausübung.
Der Bundesrat hat es erneut verpasst, nachhaltige und verhältnismässige Lösungen für Konflikte zwischen Mensch und Wildtier zu präsentieren. Vielmehr zementiert er mit dem aktuellen Revisionsentwurf die Ansicht, dass insbesondere Grossraubtiere in der Schweiz keinen Platz haben. Die Akzeptanz von Wildtieren und ihres arttypischen Verhaltens in der Gesellschaft wird durch deren Tötung in keiner Weise erhöht, vielmehr wird die Bevölkerung dazu erzogen, umgehend den Abschuss zu fordern, sobald sie mit Blick auf die vielfältigen menschlichen Interessen negativ in Erscheinung treten. Verfassungsrechtliche Pflicht des Bundes wäre es hingegen, eine echte Koexistenz zwischen Menschen und Wildtieren zu fördern. Damit eine solche auf Dauer gelingen kann, ist vermehrte Aufklärung in Bezug auf die Verhaltensweisen der Tiere sowie auf die Vermeidung von Konfliktsituationen durch den Bund und die Kantone vonnöten. Schliesslich bezweckt die Jagdgesetzgebung nichts anderes als den Erhalt der Artenvielfalt und der Lebensräume von Wildtieren, wozu auch ein für Mensch und Wildtier gleichermassen faires und die Existenz von Wildtieren respektierendes Konfliktmanagement gehört.
Die vollständige Stellungnahme zu den geplanten Verordnungsänderungen finden Sie hier. Im Sinne des Tierschutzes hofft die TIR auf eine möglichst weitgehende Berücksichtigung ihrer Vorschläge und Anregungen.