TIR unterstützt Empfehlungen im Fall Hefenhofen
Die Tierschutzvorfälle in Hefenhofen haben im August 2017 landesweit für Schlagzeilen gesorgt und gezeigt, dass bei der Umsetzung der Tierschutzvorschriften im Kanton Thurgau gravierende Mängel bestehen. Gestern hat nun die vom Regierungsrat eingesetzte "Untersuchungskommission zum Vollzug der Tierschutzgesetzgebung im Kanton Thurgau", in der auch die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) vertreten war, ihren Schlussbericht veröffentlicht. Die TIR begrüsst die Empfehlungen der Untersuchungskommission, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass entsprechende Vollzugsoptimierungen auch in anderen Kantonen angezeigt sind.
01.11.2018
Gestern stellte nun die Kommission ihren zweiteiligen, weit über 200 Seiten umfassenden Bericht vor, der zahlreiche brisante Details zum mangelhaften Zusammenspiel zwischen den Thurgauer Vollzugsstellen und grundlegende strukturelle Mängel im Vollzug des Tierschutzrechts aufzeigt, die das jahrelange Bestehen tierschutzrechtswidriger Zustände im Fall des Tierhalters U. K. überhaupt erst ermöglichten. Seit vielen Jahren kritisiert die TIR die unbefriedigende Zusammenarbeit der Verwaltungs- und Strafbehörden im Tierschutzvollzug. Diese verhindert, dass fehlbare Tierhalter zügig und mit griffigen Massnahmen und Sanktionen belegt und die betroffenen Tiere damit angemessen und nachhaltig geschützt werden. Die TIR geht davon aus, dass der Thurgau kein Einzelfall ist und ähnliche Probleme auch in zahlreichen anderen Kantonen bestehen. Denn noch immer lassen sich hinsichtlich der Umsetzung tierschutzrechtlicher Bestimmungen erhebliche Unterschiede feststellen (siehe dazu die jährliche TIR-Analyse des Schweizer Tierschutzstrafvollzugs). Um entsprechende Missstände zu beheben, sind – sowohl im Kanton Thurgau als auch schweizweit – Strukturen und Instrumente zu schaffen, die eine konsequente Durchsetzung der Tierschutzgesetzgebung gewährleisten.
Aus diesem Grund begrüsst die TIR die breit abgestützten Massnahmenempfehlungen der Kommission zur Verbesserung des Tierschutzvollzugs im Kanton Thurgau. So schlägt diese etwa den Einsatz von Begleitgruppen insbesondere in Fällen von Überforderung bei Landwirten, aber auch die Einrichtung einer Tierschutzkommission für die Klärung grundsätzlicher Tierschutzfragen vor.
Aus Sicht der TIR noch wichtiger sind die von der Kommission empfohlenen Parteirechte im Verwaltungs- und Strafverfahren, die den Interessen des Tierschutzes mehr Gewicht verleihen sollen. Sie würden einen fairen Prozess ermöglichen, indem der heute einseitigen Verteidigungsmöglichkeit der angeschuldigten Tierhaltenden eine Interessenvertretung der betroffenen Tiere gegenübergestellt würde. Zu kritisieren ist allerdings die im Abschlussbericht enthaltene Formulierung, wonach es mit der Einrichtung eines Parteirechts in Tierschutzstrafverfahren weniger darum gehen solle, jeden Einzelfall zu hinterfragen, sondern vielmehr darum, dass eine Fachbehörde dem Tierschutz in Präzedenzfällen, bei Wiederholungstätern, bei schweren Widerhandlungen oder in Fällen, die spezifisches Fachwissen erfordern, das nötige Gehör verschaffen kann. Damit der Tierschutzstrafvollzug nachhaltig verbessert werden kann, müsste ein solches Parteirecht ganzheitlich zugestanden werden. Entsprechend müsste die das Parteirecht innehabende Institution jeden Tierschutzstraffall kritisch prüfen und dürfte das Parteirecht nicht nur in Spezialfällen wahrgenommen werden.
Weiter erachtet die TIR die von der Kommission empfohlene Einrichtung einer Fachstelle für Tierdelikte bei der Kantonspolizei und die Spezialisierung von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Tierschutzstrafrecht als dringend notwendig. Denn zahlreiche Staatsanwaltschaften in der Schweiz messen Tierschutzdelikten nur untergeordnete Bedeutung bei, wie die jährliche TIR-Analyse des Tierschutzstrafvollzugs in aller Deutlichkeit zeigt. Dasselbe gilt in vielen Kantonen auch für die Polizei. Diese unzulässige Bagatellisierung führt bei den Strafverfolgungsbehörden zu einem generell unzureichenden Kenntnisstand im Bereich des Tierschutzrechts und in der Folge nicht selten zu unhaltbaren Nichtanhandnahmen, Einstellungen und Freisprüchen oder zu unverhältnismässig tiefen Sanktionen für Tierschutzverstösse. Gerade im Bereich der Polizeiarbeit ist es wichtig, dass Generalistinnen und Generalisten Tierschutzverstösse erkennen und sich an eine interne Fachstelle wenden können. Nicht zuletzt auch für das Zusammenspiel von Verwaltungs- und Strafverfahren ist es unabdingbar, dass alle in den Tierschutzvollzug involvierten Behörden über fundierte tierschutzrechtliche Kenntnisse verfügen. Die notwendige Fachkompetenz kann aber nur dann gewährleistet werden, wenn die konkrete Schulung und Förderung der zuständigen Amtspersonen im Tierschutzrecht verbessert wird.
Für die Früherkennung tierschutzrelevanter Situationen ist ein funktionierender Informationsaustausch unter Behörden von grosser Bedeutung. Denn oftmals sind im Rahmen von Tierschutzvorfällen verschiedenste Behörden (wie z.B. die Gemeinde, der Sozialdienst, die KESB oder der Gewässerschutz) involviert. Nur durch einen koordinierten Austausch unter den Behörden kann tierschutzrelevanten Situationen früher und mit mehr Effizienz begegnet werden. Insbesondere lassen sich durch einen funktionierenden Informationsaustausch Doppelspurigkeiten und widersprüchliche Massnahmen verhindern. Die TIR begrüsst daher die Empfehlung der Kommission, den Informationsaustausch unter den Ämtern zu fördern und die dafür gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Weiter befürwortet die TIR die Empfehlung der Kommission, wonach im Kanton Thurgau das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt werden soll. Dieses würde Personen im Kanton Thurgau grundsätzlich das Recht auf Zugang zu den bei einer staatlichen Stelle vorhandenen Informationen gewähren. Durch die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips würde das Handeln der staatlichen Behörden und Ämter für Aussenstehende nachvollziehbarer und transparenter gestaltet. So könnte insbesondere die Akzeptanz behördlicher Entscheidungen im Tierschutzvollzug in der Bevölkerung gesteigert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass von Seiten des Kantons auch eine aktive Informationspolitik betrieben wird. Tierschutz ist eine Staatsaufgabe und liegt im öffentlichen Interesse, weshalb die Steigerung der Transparenz des behördlichen Handelns in diesem Bereich dringend angezeigt ist.
Der Regierungsrat hat im Rahmen der
gestrigen Medienkonferenz angekündigt, die von der
Untersuchungskommission ausgesprochenen Empfehlungen eingehend zu
analysieren. Gewisse Empfehlungen seien aber bereits umgesetzt worden,
so beispielsweise der Einsatz von Begleitgruppen in ausgewählten
Tierschutzfällen sowie die Errichtung einer juristischen Fachstelle beim
Veterinäramt des Kantons Thurgau. Die Zukunft wird zeigen, wie gross
der Wille des Kantons Thurgau (Regierungsrat und Parlament) ist, die aus
Tierschutzsicht dringend zu befolgenden Empfehlungen der
Untersuchungskommission auch tatsächlich umzusetzen.
Die TIR
ist überzeugt, dass die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der
Untersuchungskommission nicht nur für den Tierschutzrechtsvollzug im
Kanton Thurgau relevant sind. Ähnliche Probleme, wie sie im Bericht der
Untersuchungskommission angesprochen werden, sind auch in anderen
Kantonen zu erkennen. Die übrigen Kantone tun daher gut daran, aus den
Erfahrungen des Falls Hefenhofen zu lernen und ähnliche Eskalationen von
vornherein zu verhindern. Hierzu sind die entsprechende
Sensibilisierung, eine gute Vollzugsstruktur unter Einbindung aller
relevanter Stellen und entsprechende Fachkenntnisse der zuständigen
Behörden unumgänglich. Denn die Qualität des Tierschutzstrafvollzugs
hängt im erheblichen Masse von den Bemühungen und der Fachkompetenz der
zuständigen Amtsstellen ab.
Weiter gilt es zu bedenken, dass sich – obwohl sich der Bericht schwerpunktmässig mit der Umsetzung des Tierschutzrechts im landwirtschaftlichen Bereich auseinandergesetzt hat – die durch die Untersuchung zutage geförderten Mängel im Tierschutzvollzug nicht auf den landwirtschaftlichen Sektor beschränken. Die erläuterten Massnahmen müssen im gesamten Spektrum des Umgangs mit Tieren – insbesondere auch im Heim- und Versuchstierbereich – mit der gleichen Konsequenz gefordert bzw. umgesetzt werden. Ziel aller Bemühungen muss sein, Tieren auch in für die Medien unspektakulären Fällen den ihnen zustehenden rechtlichen Schutz zukommen zu lassen.