Tierversuche
Ausgangslage
Tierversuche werden in vier Schweregrade unterschieden. Jene mit Schweregrad 0 gelten als nicht belastend. Zu ihnen gehören allerdings auch Experimente, für die Tiere vorgängig getötet werden. Die übrigen Versuche werden in leicht-, mittel- und schwerbelastende Schweregrade (1–3) eingeteilt. Seit Beginn der statistischen Erhebungen im Jahr 1983 wurden in der Schweiz stets weit mehr als eine halbe Million Wirbeltiere in Versuchen eingesetzt. Zusätzlich wurden jährlich rund eine Million Zucht- und "Überschusstiere" in Schweizer Labors gehalten und getötet.
Idealbild von Tier im Recht (TIR)
Tierversuche sind ethisch kaum zu rechtfertigen und bedeuten mitunter sogar eine Gefahr für gesellschaftliche Werte, wie folgende Punkte aufzeigen:
- Gemeinsam sind Mensch und Tier die Empfindungsfähigkeit und das Streben nach Leben und Unversehrtheit. Unterschiede lassen sich in Anatomie, Biologie und Artverhalten feststellen. Je nach Art reagieren Tiere auf äussere Einwirkungen anders als Menschen. Verursachen solche Einwirkungen jedoch physische oder psychische Schäden, so empfinden zumindest jene Tiere, die über ein zentrales Nervensystem verfügen, wie Menschen Schmerz. Leiden und Angst unterschiedlicher Intensität sind häufige Begleiterscheinungen von Tierversuchen der Schweregrade 1–3.
- Tierversuche sind als wissenschaftliche Methode insbesondere in der biomedizinischen Forschung äusserst umstritten und werden auch innerhalb der Forschungsgemeinschaft mehr und mehr hinterfragt. Dabei wird insbesondere kritisiert, dass es sich um eine veraltete, nicht zeitgemässe Methode handle, die selbst nie validiert wurde und deren Resultate sich nur bedingt auf den Menschen übertragen liessen. In den vergangenen Jahren wurden vermehrt Studien durchgeführt, die den konkreten Nutzen von Tierversuchen untersuchten. Vielfach zeigen die entsprechenden Ergebnisse auf, dass aus den Tierversuchen keine oder kaum nennenswerte Erkenntnisse für die menschliche Gesundheit resultierten. Oftmals widersprachen die im Tierversuch gewonnenen Erkenntnisse sogar den Befunden am Menschen.
- Weil Tiere uns in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind, hält man sie für geeignet, um sie als Stellvertreter für Menschen zu verwenden. Gerade diese Ähnlichkeit sollte die Leiden, die Versuchstiere im Rahmen ihrer experimentellen Nutzung erfahren, für uns nachvollziehbar machen und uns daher dazu veranlassen, auf Tierversuche zu verzichten. Geht man umgekehrt davon aus, dass Tierversuche aufgrund fundamentaler Unterschiede zwischen Mensch und Tier ethisch vertretbar seien, stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Nutzen solcher Experimente, da mit abnehmender Ähnlichkeit auch die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die entsprechenden Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind.
- Der Wissenschaft oberstes Ziel ist die Forschung zur Erhaltung von Leben und Verbesserung dessen Qualität. Die Existenzen von Mensch und Tier sind unmittelbar miteinander verknüpft. Einer Forschung, die darauf angewiesen ist, Leben bewusst zu schädigen oder dieses sogar zu zerstören, und gleichzeitig den Anspruch erhebt, Leben fördern zu wollen, liegt ein unlösbarer Widerspruch zugrunde.
- Das Verwenden von Tieren als blosse Messobjekte stellt eine Instrumentalisierung sondergleichen dar und verletzt damit die rechtlich geschützte Tierwürde in grober Weise. Die überwiegende Anzahl Versuchstiere wird allein für den Versuch gezüchtet, im Erbgut verändert, manipuliert, geschädigt und – wenn sie nicht im Verlauf des Experiments sterben – am Ende getötet. Ihr Eigenwert wird dabei vollständig ausgeklammert.
Kurzfristig realisierbare Forderungen
Weil Tierversuche hinter verschlossenen Türen stattfinden und transparente Informationen kaum verfügbar sind, kann eine öffentliche Debatte über die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen nur in sehr begrenztem Rahmen stattfinden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Informationslücke erachtet unsere Gesellschaft Tierexperimente namentlich im Bereich der Medizin mehrheitlich noch immer als notwendig. Diese Meinung widerspiegelt sich auch in der Gesetzgebung, die für gewisse Bereiche Tierversuche sogar vorschreibt, solange die Zuverlässigkeit geeigneter Alternativen nicht durch aufwendige Verfahren nachgewiesen und behördlich anerkannt ist. Vor diesem Hintergrund ist eine vollständige Abschaffung aller Tierversuche in der biomedizinischen Forschung derzeit nicht absehbar. Durchaus realistisch und in absehbarer Zeit umsetzbar sind hingegen folgende Forderungen:
- Der Bund unterstützt belastende Tierversuche im Rahmen des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in grossem Umfang, während die tierversuchsfreie Forschung vergleichsweise vernachlässigt wird. Dieses Ungleichgewicht ist nicht mit dem Bundesauftrag des Tierschutzes vereinbar. Öffentliche Gelder müssen zur Erhaltung menschlichen Lebens eingesetzt werden, gleichzeitig aber auch die ethischen Anforderungen der Bundesverfassung berücksichtigen. Vor kurzem hat der Bund in diesem Sinne zwar endlich zusätzliche Mittel im Bereich der sogenannten 3R (Replace, Reduce, Refine) zur Verfügung gestellt. Nach wie vor besteht jedoch – selbst beim Kompetenzzentrum des Bundes 3RCC – ein starker Fokus auf Tierversuche. Aus diesem Grund wird viel Geld in die Verfeinerung von Tierversuchen investiert, während eine Abkehr von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung nicht vorangetrieben wird, obschon gute wissenschaftliche und ethische Gründe dafürsprechen. Von Bedeutung wäre ein Paradigmenwechsel mit entsprechender finanzieller Unterstützung.
- Alternativmethoden im Bereich von Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfungen werden nur anerkannt, wenn sie sich als zuverlässig erwiesen haben. Dieser Nachweis ist schwer zu erbringen und misst sich überdies an den (oftmals selbst nicht zuverlässigen) Ergebnissen von Tierversuchen selbst. Einerseits ist zu fordern, dass Alternativmethoden durch gesetzliche Anforderungen nicht unnötig behindert werden dürfen, da sich ihre Ausarbeitung und Etablierung ansonsten als zu kostspielig herausstellt. Anderseits sind Bund und Industrie stärker in die entsprechende Forschung einzubinden und gesetzlich zu verpflichten, Alternativmethoden aktiv zu fördern.
- Tierversuche im Rahmen des Studiums sind ausnahmslos zu verbieten. Wie verschiedene Ausbildungsinstitute in der Schweiz und in Europa zeigen, sind Studiengänge ohne Tierversuche durch Einsatz geeigneter Alternativen heute kein Problem mehr. Ebenso müssen Tierversuche für sogenannte Wohlfahrts-Produkte wie etwa Tabak, dekorative Kosmetika, Haushaltsprodukte oder Pestizide einem konsequenten Verbot unterliegen, das sowohl ihre Durchführung in der Schweiz als auch entsprechende Aufträge ins Ausland umfasst. In Bezug auf Kosmetika gilt zwar seit Mai 2017, dass diese hierzulande nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn ihre endgültige Zusammensetzung oder einzelne Bestandteile davon mit Tierversuchen getestet worden sind. Bestandteile, die auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, sind hiervon jedoch ausgenommen. Tatsächlich werden allerdings die meisten Kosmetikbestandteile auch anderweitig verwendet, etwa in Alltagsprodukten wie Reinigungsmittel, Farbsprays oder Schuhcrèmes.
- Zu verbieten sind überdies schwerbelastende Tierversuche mit Schweregrad 3. In vielen Fällen bringen solche Experimente im Verhältnis zu den Leiden der Versuchstiere keinen bedeutenden Erkenntnisgewinn, wie er in Art. 19 Abs. 4 TSchG vorgeschrieben ist. Im Bewilligungsverfahren von Tierversuchen ist diese Güterabwägung deutlich ernster zu nehmen als bisher. Die Alternativforschung ist insbesondere in diesen Bereichen stark voranzutreiben. Wo Alternativen nicht zugänglich sind, muss nach anderen Lösungen zur Umgehung hochbelastender Tierversuche gesucht werden – andernfalls ist auf die entsprechenden Erkenntnisse zu verzichten.
- Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, weisen sehr viele Versuchsanordnungen gravierende Qualitätsmängel auf. Nicht selten werden dabei grundlegende Kriterien guter Forschungspraxis missachtet. Um zu verhindern, dass Tiere weiterhin für Versuche verwendet werden, die nur schon aufgrund ihrer qualitativ mangelhaften Durchführung keinen bedeutenden Erkenntnisgewinn erwarten lassen, sind sämtliche Beteiligte auf dem Gebiet der guten Forschungspraxis besser zu schulen. Dies gilt sowohl für die Forschenden selbst als auch für die Mitglieder der Bewilligungsbehörden und der Tierversuchskommissionen. Diese haben Tierversuchsvorhaben, die nicht die erforderliche wissenschaftliche Qualität aufweisen, die Bewilligung zu versagen.
- Die gesetzlichen Haltungsvorschriften für Versuchstiere sind Minimalvorgaben und nicht mit einer tiergerechten Haltung gleichzusetzen: Sterile Metallkäfige oder Kunststoffboxen, lebenslange Beschäftigungs- und Bewegungsarmut, soziale Isolation oder Exposition und künstliches Licht stellen gravierende Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und der artspezifischen Bedürfnisse jedes Tieres dar. Zudem sind immer wieder Verstösse gegen die Vorschriften in Haltung, Transport und Umgang festzustellen. Wesentlich strengere Bestimmungen bzw. deutlich höhere Haltungsstandards sowie häufige, konsequente und unabhängige unangemeldete Kontrollen (verbunden mit empfindlichen strafrechtlichen Sanktionen bei Widerhandlungen) sind dringend erforderlich.
- Die kantonalen Tierversuchskommissionen, die die Aufgabe haben, Tierversuchsanträge zu prüfen und der Bewilligungsbehörde deren Genehmigung oder Ablehnung zu empfehlen, stellen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung unter dem Aspekt des Tierschutzes keine befriedigende Lösung dar. Die je nach Kanton unterschiedlich grossen Gremien bestehen zumeist hauptsächlich aus Forschungsvertretern. Zwar sind gesetzlich auch Repräsentanten des Tierschutzes vorgesehen, diese sind jedoch in der Regel klar in der Unterzahl und werden daher im Bewilligungsverfahren von Gesuchen regelmässig überstimmt. Um den Tierschutzinteressen ein angemessenes Gewicht in den Kommissionen zu verleihen, ist zwingend für eine ausgewogenere Zusammensetzung zu sorgen. Weiter unterstehen die Kommissionsmitglieder einer strengen Schweigepflicht und haben daher keine Möglichkeit, selbst schwerwiegende Mängel nach aussen zu tragen. Diesen Umständen ist in der Kommissionsorganisation Rechnung zu tragen. Die Mitglieder sind zwar gewissen Auflagen, nicht aber einer völligen Schweigepflicht zu unterstellen.
- Die Tötung von Mäusen, Ratten und weiteren standardmässig verwendeten Versuchstieren erfolgt heute aus Praktikabilitätsgründen noch immer weitgehend unter Verwendung von Kohlenstoffdioxid (CO2). Dieses Gas wird von den Behörden selbst als nicht tierschutzkonform klassiert, jedoch mangels ökonomisch interessanter Alternativen weiterhin toleriert. Obschon diese Tötungsart als qualvoll gilt, wird sie in der Belastungsbewertung nicht einmal berücksichtigt. Dieser Zustand ist unhaltbar – Versuchstiere, die als Messinstrumente für menschliche Zwecke genutzt werden und letztlich ihr Leben lassen müssen, dürfen nicht zusätzlichen vermeidbaren Belastungen im Rahmen ihrer Tötung ausgesetzt werden.
- Eine transparente Kontrolle einzelner Tierversuchsvorhaben und -bereiche durch die Öffentlichkeit existiert heute praktisch nicht. Der Bund veröffentlicht zwar eine jährliche Statistik sowie eine vierteljährliche Auflistung abgeschlossener Tierversuche. Die überaus dürftigen Informationen geben aber kaum Aufschluss über die Art und Weise, wie die Tiere in den Versuchen eingesetzt wurden. Die Bevölkerung ist auf die öffentliche Kommunikation der Durchführenden selbst angewiesen, auch weil die Tierschutzvertreter in den Kommissionen und die Bewilligungsbehörden der Schweigepflicht unterstehen. Dieser Zustand ist unhaltbar. Der Bevölkerung steht angesichts des öffentlichen Interesses und des Grundrechts der Meinungsbildungsfreiheit das Recht zu, Einblick in die Tierversuchspraxis zu erhalten.
- Eine Erfolgskontrolle für Tierexperimente fehlt bislang gänzlich. Obschon das Bundesparlament periodisch hohe Summen in die tierexperimentelle Forschung investiert, zeigt es sich an einer Bewertung des Nutzens von Tierversuchen bis heute nicht interessiert. Vor dem Hintergrund, dass es sich hierbei um öffentliche Mittel handelt, drängt sich eine entsprechende Kontrolle im Sinne einer systematischen Nutzenbewertung auf. Solche Bewertungsinstrumente sind aus der evidenzbasierten Medizin im Zusammenhang mit Untersuchungen an menschlichen Probanden bereits bekannt und erprobt und liefern wichtige Hinweise für den Erfolg einer bestimmten Forschungsrichtung.
Antworten auf gängige Argumente von Tierversuchsbefürwortern
- Tests direkt am Menschen durchzuführen ist nur möglich und erlaubt, wenn die Unbedenklichkeit des Versuchs bereits gewährleistet ist. Die Wirkung einer unbekannten Substanz muss vorgängig an einem anderen Lebewesen mit einem vergleichbaren Organismus geprüft werden.
Fast 70 Prozent aller in der Schweiz durchgeführten Versuche finden heute aus wirtschaftlichen und praktischen Gründen am Organismus der Maus statt. Mäuse sind günstig und vermeintlich anspruchslos in Haltung, Handling und Unterhalt und lassen sich innert kurzer Zeit in grosser Zahl züchten. Dass die Vergleichbarkeit mit dem menschlichen Organismus dabei auf der Strecke bleibt, scheint eine untergeordnete Rolle zu spielen. Bei Sicherheitstests für Produkte, die für die Anwendung am Menschen bestimmt sind, ist jeweils zusätzlich eine Nicht-Nager-Spezies in einer Testreihe zu verwenden. Trotz dieser Vorsichtsmassnahmen werden regelmässig Medikamente wegen unerwarteter Nebenwirkungen vom Markt zurückgezogen – zuweilen, nachdem diese zu Spitaleinweisungen und/oder Todesfällen geführt haben. Gleichzeitig verhindern die vermeintlich hohen Sicherheitsanforderungen den Zugang zahlreicher für den Menschen wirksamer und wichtiger Produkte zum Markt, weil diese beim Test am Tier durchfallen, obwohl sie für den Menschen ungefährlich bzw. hilfreich wären. Aspirin beispielsweise erhielte nach den heute geltenden Regelungen keine Marktzulassung mehr. Die Vergleichbarkeit der Organismen stellt somit eine der grössten Herausforderungen in der Forschung und Entwicklung medizinischer und anderer Produkte dar. - Obwohl die Forschung im Reagenzglas (in vitro) ein hohes Mass an Präzision aufweist, ist sie isoliert und gibt keinen Aufschluss darüber, wie sich ein Wirkstoff im Organismus verhält. Um entsprechende Fragen zu beantworten, sind Studien am Tier unerlässlich.
Je nach Testbereich werden unterschiedliche Tiere verwendet. Neben Praktikabilitätsargumenten können etwa auch Stoffwechselmechanismen sowie physiologische oder anatomische Gründe für deren Auswahl ausschlaggebend sein. In der Neurologie beispielsweise werden nicht selten Katzen bevorzugt, da ihr Nervensystem in wichtigen Merkmalen jenem des Menschen ähnelt. Gerade diese Auswahl widerspricht jedoch dem Argument, Versuche am lebenden Tier seien deshalb unerlässlich, weil sie Aufschluss über das Verhalten im Gesamtorganismus erlauben, da hierzu nicht allein ein vergleichbares Nervensystem, sondern überhaupt vergleichbare Organe und Funktionen gehören. Im Übrigen werden unzählige wichtige Einflussfaktoren wie Lebensbedingungen, Umwelteinflüsse, Verhalten, Stress usw. im Tierversuch verändert oder ausgeblendet, ohne dass sie ausgeschaltet werden können. Künstlich verursachte Krankheiten, eine sterile Atmosphäre sowie die Unterbindung artnatürlicher Verhaltensweisen beeinträchtigen Versuchsresultate beträchtlich. Daher kann auch bei Resultaten aus Tierversuchen nur von in hohem Masse isolierten Werten gesprochen werden. Dies zeigt sich sehr deutlich in der "Reproduzierbarkeitskrise", die im Augenblick in aller Munde ist: Versuchsergebnisse können in verschiedenen Laboratorien aufgrund der unterschiedlichen Einflussfaktoren in vielen Fällen nicht reproduziert werden. - Seit einigen Jahren spielen transgene Tiere eine immer bedeutendere Rolle in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Sie können sozusagen als "massgeschneiderte" Krankheitsmodelle eingesetzt werden.
Seit vielen Jahren wird auf gentechnisch veränderte Tiere gesetzt, die insbesondere in der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung als grosse Hoffnung gelten. Abgesehen von der Problematik, dass in diesem Bereich überwiegend hochbelastende Versuche am lebenden Tier durchgeführt werden, ist auch die grundsätzliche ethische Legitimation der Gentechnik bis heute keineswegs allgemein anerkannt. Tiere gezielt krank zu machen, um an ihnen zu forschen, ist ethisch höchst bedenklich. Es fragt sich zudem, ob durch Gen-Einpflanzung bzw. -Veränderung angezüchtete oder hervorgerufene Krankheitsmodelle Aufschluss über den Verlauf von Krankheiten geben können, die auf völlig andere Ursachen zurückzuführen sind. Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Der Einsatz genveränderter Tiere hat nicht wie erhofft zu mehr Erfolg, sondern lediglich zu noch höheren Tierzahlen geführt. Statt eine Abkehr von unzuverlässigen Tiermodellen ernsthaft in Betracht zu ziehen, wird heute aber bereits aus der nächsten Neuerung – sogenannten "Genscheren" (z.B. CRISPR/Cas9), mittels derer gezielter als bisher in das Erbgut eingegriffen werden kann – Hoffnung geschöpft.
- Versuche am Tier minimieren die Risiken für den Menschen – wer Tierversuche nicht akzeptiert, sollte auf die heute verfügbaren Medikamente, Impfstoffe und Behandlungsmethoden verzichten?
Medikamente und Impfstoffe werden, auch wenn sie vorgängig an Tieren getestet wurden, regelmässig in Versuchen an freiwilligen menschlichen Probanden untersucht, bevor sie für den Markt freigegeben werden. Diese umfangreichen Untersuchungen finden in mehreren Stadien statt und erfolgen zunächst an gesunden Menschen, später an erkrankten Patienten. Ohne diese menschlichen Versuche (die unter grössten Vorsichtsmassnahmen vorgenommen werden) wäre die Akzeptanz eines Medikaments oder Impfstoffes kaum denkbar und auch äusserst gefährlich. Im Übrigen ist nicht ein Verzicht auf Medikamente gefordert, sondern eine ethisch vertretbare Forschung und Entwicklung dieser Medikamente. Auch ohne Tierversuche ist Forschung möglich – und dies vielleicht sogar besser und zuverlässiger. - Labortiere retten Menschenleben.
Hinweise auf Tierversuche gehen bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurück. Im Jahre 1970 schätzte man die Zahl der weltweit in wissenschaftlichen Experimenten getöteten Tiere auf 100 bis 200 Millionen. Summiert man sämtliche Versuchstiere, die im Namen der Forschung im Laufe der Jahrtausende ihr Leben lassen mussten, kommt man auf astronomische Zahlen. Dennoch treten immer wieder neue Krankheiten auf und bleiben altbekannte wie Krebs oder Aids hinsichtlich ihrer Häufigkeit stabil oder nehmen sogar zu. Wenngleich die Medizin andererseits beachtliche Fortschritte erreicht hat und heute Eingriffe und Therapien möglich sind, die früher undenkbar waren, ist der Wert von Tierversuchen in dieser Gesamtentwicklung unklar, zumal sich die Wissenschaft aus unzähligen Erkenntnissen unterschiedlicher Quellen zusammensetzt. Auch Tierexperimente haben hierbei gewisse Erkenntnisse geliefert, Uneinigkeit besteht indessen hinsichtlich des Gewichts des hierdurch gewonnenen Wissens. Klar ist, dass Tierversuche immer wieder auch zu irreführenden Informationen geführt und den medizinischen Fortschritt somit mitunter auch behindert haben. Die Existenzberechtigung der tierbasierten Forschung im Bereich der Humanmedizin muss mehr denn je infrage gestellt werden. In Forscherkreisen wird zunehmend vermutet, dass die Fixierung auf Tierversuche die Menschheit bisher in falscher Sicherheit gewiegt und ihr den Blick auf eine bessere Forschung versperrt hat.
© Tier im Recht, Mai 2021
Weitere Informationen
- Literatursuche in der Online-Datenbank der TIR-Bibliothek in Kategorie "Versuchstiere" oder mit dem Schlagwort "Tierversuche".
- Literatur: Knight A.; The Costs and Benefits of Animal Experiments
- Studie zur aus wissenschaftlicher Sicht oftmals zweifelhaften Bewilligung von Tierversuchen durch Schweizer Behörden, 2016