Tierrechte
Ausgangslage
Während man dem Tierschutzgedanken ursprünglich nur deshalb einen Platz im Strafgesetz einräumte, weil Tierquälerei zur Verrohung führen und somit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen kann, hat sich im Laufe der Neuzeit das ethische Bewusstsein entwickelt, dass Tiere um ihrer selbst willen zu schützen sind. Ausfluss dieser Entwicklung sind die heutigen Tierschutzgesetze, die im Allgemeinen gewisse Interessen von Tieren schützen sollen. Die physische und psychische Integrität, die Würde sowie generell das Leben können Gegenstand solcher Interessen sein, die allerdings weitgehend durch die gesellschaftlich tolerierte Tiernutzung begrenzt sind. Darüber hinausgehend wird nun aber immer häufiger gefordert, dass Tieren eigene durchsetzbare Rechte zugestanden werden.
Das Schweizer Recht anerkennt zwar ausdrücklich, dass Tiere keine Sachen sind, und schützt überdies die Würde des Tieres sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesstufe. Über eigentliche Rechte verfügen Tiere aber auch hierzulande nicht. Sie sind also nicht Träger eigener, juristisch durchsetzbarer Rechte und Pflichten. Diese sogenannte Rechtsfähigkeit kommt nach wie vor ausschliesslich Menschen und juristischen Personen wie Gesellschaften, Stiftungen oder Gemeinden zu. Tiere bleiben hingegen Vermögenswerte, die im Eigentum oder Besitz von Personen stehen können. Sie unterliegen daher auch weiterhin der Verfügungsmacht ihres Eigentümers und können somit beispielsweise auch nach wie vor verkauft oder verschenkt werden. Selbstverständlich hat der Eigentümer eines Tieres aber das Tierschutzrecht und andere zwingende Gesetzesvorschriften zu beachten.
Idealbild von Tier im Recht
Tiere sind Rechtssubjekte, die um ihrer selbst willen existieren und denen eigene Rechte auf Leben, physische und psychische Integrität sowie auf Achtung ihrer Würde zustehen. Menschliche Interessen (mit Ausnahme der Notwehr beziehungsweise des Notstands) rechtfertigen weder die Tötung von Tieren noch deren Nutzung, soweit sie ihren Bedürfnissen zuwiderläuft. Folgende Überlegungen führen zu diesem Schluss:
- Gleiches soll gemäss seiner Gleichheit gleich, Ungleiches gemäss seiner Ungleichheit ungleich bewertet und behandelt werden. Viele Bedürfnisse von Mensch und Tier sind vergleichbar, manche hingegen sind art- oder gar typenspezifisch. Eines haben sie jedoch in der Regel gemeinsam: das Streben nach Leben und Unversehrtheit. Es ist daher nicht einsehbar, weshalb Tieren gewisse Grundrechte, etwa auf Leben, auf Unversehrtheit oder auf die Achtung ihrer Würde vorenthalten werden sollen, während Menschen solche Rechte zugestanden werden.
- Rechte stehen auch Individuen zu, die diese nicht selber durchsetzen können. So steht etwa zu Recht ausserfrage, dass auch Urteilsunfähigen ihre Grundrechte nicht entzogen werden können. Tiere sind eine weitere schutzbedürftige Kategorie, denen wir grundlegende, notfalls zu verteidigende Rechte garantieren müssen.
- Die konsequente Schlechterstellung von Tieren kann als eine der letzten Diskriminierungsformen der menschlichen Geschichte angesehen werden. Frühere Formen der Diskriminierung, wie etwa die wertende Unterteilung der Menschen in verschiedene Rassen und die damit verbundene Sklaverei, waren zu ihrer Zeit ebenso selbstverständliche Bestandteile der Gesellschaft wie heute der für die Tierausbeutung verantwortliche Speziesismus. Auch für die Überwindung der ungerechtfertigten pauschalen Unterordnung von tierlichen gegenüber menschlichen Interessen sind Veränderungen der Sozialstruktur notwendig, die sich durch ein allgemeines gesellschaftliches Umdenken ergeben und denen durch die Anerkennung gewisser tierlicher Grundrechte Vorschub geleistet werden könnte.
Kurzfristig realisierbare Forderungen
Tieren grundlegende Rechte zuzugestehen, ohne diese durch die kommerzielle Tiernutzung zu begrenzen, erscheint in unserer stark wirtschaftlich orientierten und global ausgerichteten Gesellschaft zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch. Aus der intensiven Nutzung von Tieren resultiert ein vielfältiger Ertrag, auf den heute kaum jemand verzichten will. Folgende Forderungen sind innerhalb dieses Rahmens jedoch dringend umzusetzen:
- Die Grundsätze des Tierschutzgesetzes bilden an sich eine gute Grundlage für einen relativ starken rechtlichen Schutz der Tiere. Leider werden diese jedoch durch die ausführenden Verordnungen sowie auch durch weitere Erlasse – etwa aus den Bereichen Jagd und Fischerei – stark verwässert. So enthalten etwa die Tierschutzverordnung oder auch die Jagd- und Fischereigesetzgebung diverse Ausnahmebestimmungen zulasten des Tierwohls und zahlreiche Regelungen, die den Grundsätzen des Tierschutzgesetzes klar zuwiderlaufen. Insbesondere der Achtung der rechtlich geschützten Tierwürde wird in der gesamten Rechtsordnung wie auch in der Rechtsanwendung bei Weitem nicht genügend Rechnung getragen. Dies ist sowohl aus Tierschutz- als auch aus rechtlicher Sicht inakzeptabel. Die Grundsätze des Tierschutzgesetzes sind konsequent umzusetzen und dürfen nicht durch jedes beliebige menschliche Interesse eingeschränkt werden.
- Obwohl Tiere Rechtsobjekte – und keine Personen im rechtlichen Sinne – sind, müssen ihre durch die Tierschutzgesetzgebung geschützten Interessen wahrgenommen werden können. Da Tiere selbst hierzu naturgemäss nicht in der Lage sind, brauchen sie eine Vertretung, die dies für sie übernimmt. Eine solche Vertretung hätte ausschliesslich im Sinne der Tiere zu handeln und dürfte dabei nicht Gefahr laufen, in Interessenkonflikte zu geraten. Die Einsetzung von Tieranwälten oder ähnlichen Institutionen, die die Interessen der Tiere in straf- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten wahrnehmen, könnte diesem dringenden Bedürfnis Abhilfe schaffen.
- Erfahrungsgemäss wird die Missachtung tierschutzgesetzlicher Vorschriften in vielen Kantonen nur ungenügend sanktioniert. Sofern die Täter überhaupt verurteilt werden, bilden auffallend geringe Strafen die Regel. Der Durchsetzung tierlicher Anliegen muss dringend mehr Nachachtung verschafft werden. Dabei ist etwa an bessere Vollzugsstrukturen im Bereich Tierschutz sowie an gezielte Aus- und Weiterbildungspflichten der Vollzugsbeamten zu denken. Zudem fragt sich, ob der Strafrahmen für Tierquälereien erhöht werden muss.
- Seit April 2003 sind Tiere in der Schweiz auch in juristischer Hinsicht keine Sachen mehr (Art. 641a ZGB), womit sachenrechtliche Regelungen nur noch soweit Anwendung finden, wie keine besonderen Vorschriften für Tiere bestehen. Allerdings gibt es nach wie vor sehr viele Bereiche, in denen solche Spezialvorschriften für Tiere fehlen, obwohl die entsprechenden sachenrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf tierrelevante Sachverhalte äusserst unpassend sind. Zu denken ist dabei etwa an die Regelungen betreffend "Mängel" bei gekauften Tieren oder die Nichtabholung von Tieren aus Tierpensionen. Für solche und ähnliche Fälle sind Vorschriften zu erlassen, die der Stellung des Tieres als Lebewesen mit eigenen Interessen angemessen Rechnung tragen.
Antworten auf gängige Argumente von Tierrechtsgegnern
- Tiere wurden schon immer genutzt; dies ist natürlich und Bestandteil der menschlichen Kultur.
Dass die Geschichte der Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken weit zurückreicht, sagt nichts darüber aus, ob diese ethisch gerechtfertigt ist. Es gibt unzählige althergebrachte Verhaltensweisen und Traditionen, die über lange Zeiträume hinweg bestanden haben, irgendwann dann aber als ethisch verwerflich erachtet und daher aufgegeben wurden. Ausschlaggebend ist der sich laufend ändernde Wertmassstab der Gesellschaft. Ausserdem kann die industrialisierte Tiernutzung längst nicht mehr als "natürlich" bezeichnet werden. - Es ist nichts Verwerfliches, die eigene Spezies den übrigen vorzuziehen. Dies ist das Gesetz der Natur; Tiere tun dies auch.
Der Mensch betont gerne seine Sonderstellung innerhalb der Natur und beurteilt Verhaltensweisen von Tieren abwertend als "bestialisch". Es ist allerdings inkonsequent, sich dann doch wieder auf die Stufe des "vernunftunbegabten" Tieres zu stellen, um gewisse Formen des Umgangs mit Tieren zu rechtfertigen. Ein wesentlicher ethischer Grundsatz unserer Gesellschaft lautet, dass es kein "Recht des Stärkeren" gibt, das die Ausbeutung "des Schwächeren" legitimieren würde. Es ist nicht einsehbar, weshalb dieser Grundsatz nicht auch in Bezug auf unser Verhalten gegenüber Tieren gelten soll. - Wo würde es enden, wenn wir Tieren fundamentale Rechte zugestehen würden und sie dadurch nicht mehr nutzen dürften?
Tieren fundamentale Rechte – etwa im Sinne eines weitgehend unantastbaren Schutzes ihres Lebens, ihrer Würde und ihrer Unversehrtheit – zuzugestehen, kann nur durch ein gesellschaftliches Umdenken geschehen. Dies ist ein schrittweiser Prozess, wie er in der Geschichte immer wieder stattgefunden hat. Auch andere gesellschaftliche Umstrukturierungen in unserem Kulturkreis, wie etwa die – zumindest formelle – Gleichstellung von Mann und Frau oder von Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, galten lange als abwegig beziehungsweise unrealistisch und illusorisch, werden aber heute gemeinhin als bedeutende zivilisatorische Errungenschaften betrachtet.
- Durch Forderungen, Tieren durchsetzbare Rechte einzuräumen, findet eine Vermenschlichung der Tierwelt statt.
Tiere sollen nicht als Menschen, sondern als Tiere und somit als Lebewesen mit eigenen Ansprüchen wahrgenommen und rechtlich geschützt werden. Eine Vermenschlichung ist keineswegs Ziel dieser Bemühungen. Die Stellung des Menschen als über allem stehendes Lebewesen mit alleiniger Verfügungsgewalt sollte jedoch kritisch überdacht und nötigenfalls relativiert werden. Zudem ist das Streben nach Unversehrtheit und Leben kein exklusiv menschliches Interesse, sondern eines, das der Mensch mit den Tieren teilt. Insofern kann von einer Vermenschlichung nicht die Rede sein, wenn auch Tieren ein rechtlicher Schutz dieser Interessen eingeräumt wird. - Menschen sind wichtiger als Tiere.
Werturteile sind stets subjektiv. So ist das eigene Kind in den Augen der Mutter wichtiger als ein fremdes, der Mitbürger in der Regel wichtiger als der Fremde und eben der Mensch aus menschlicher Sicht wichtiger als das Tier. Vom Standpunkt des Tieres aus gesehen kommt seinem eigenen Leben oder dem seiner Jungen höchste Priorität zu, wenngleich es diese Unterscheidung möglicherweise nicht bewusst, sondern instinktiv trifft. Da wir Menschen aber über die Fähigkeit verfügen, uns in andere hineinzuversetzen, ist es unsere moralische Pflicht, nicht allein von unserem Standpunkt auszugehen. Vielmehr müssen wir die berechtigten Interessen anderer in unsere Wertung miteinbeziehen – auch wenn es sich dabei nicht um Menschen handelt.
© Tier im Recht, Dezember 2016
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