Lebensschutz
Ausgangslage
Ob das Recht das Leben von Tieren an sich unter Schutz stellen soll oder ob es sich darauf beschränken soll, Tiere während ihrer Lebenszeit vor ungerechtfertigten Belastungen zu bewahren, ist eine kontrovers diskutierte Frage. Das Schweizer Tierschutzrecht schützt zwar die Würde und das Wohlergehen von Tieren, nicht ausdrücklich jedoch deren Leben. Anders ist die Situation etwa in Deutschland oder Österreich, wo die Tötung eines Tieres nur gestattet ist, wenn hierfür ein "vernünftiger Grund" besteht.
Idealbild von Tier im Recht (TIR)
Der Schutz des Lebens von Tieren ist grundsätzlich zu gewährleisten. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in ethischer Hinsicht lediglich im Zusammenhang mit der Euthanasie schwer leidender Tiere sowie in Notwehr- bzw. Notstandssituationen, die nicht anders abgewendet werden können, gerechtfertigt. Folgende Überlegungen führen zu dieser Auffassung:
- Aus ethischer Sicht lässt sich nach Ansicht der TIR kein Recht des Menschen auf Tötung von Tieren ableiten. Gleiches soll gemäss seiner Gleichheit gleich, Ungleiches gemäss seiner Ungleichheit ungleich bewertet und behandelt werden. Tiere sind dem Menschen darin gleich, dass sie nach Leben streben und dem Tod soweit möglich ausweichen. Es ist daher nicht einsehbar, weshalb das menschliche Streben nach Leben rechtlich geschützt werden soll, das tierliche aber nicht.
- Durch den Tod werden sämtliche Funktionen des Organismus ausgeschaltet. Er stellt somit den einschneidendsten und irreversibelste Schaden dar, der einem Tier zugefügt werden kann. Durch die Tötung wird einem Tier somit dessen fundamentalstes und wertvollstes Gut genommen.
- Bereits heute bekennt sich die Schweiz sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesebene zum Grundsatz der Achtung der Tierwürde. Das Tierschutzgesetz definiert die Tierwürde als "Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit geachtet werden muss" (Art. 3 lit. a TSchG). Hat das Tier an sich einen rechtlich anerkannten Wert, ist allerdings nicht ersichtlich, weshalb dieser Wert – also die Existenz des Tieres – kein schützenswertes Gut darstellen sollte. Es erscheint paradox, dass ein Wert, der von Gesetzes wegen zu achten ist, ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen ausgelöscht werden darf. Schliesslich kann ein Wert kaum stärker missachtet werden als durch seine vollständige Zerstörung. Wenn Verhaltensweisen wie die Erniedrigung oder die übermässige Instrumentalisierung von Tieren, die vom Tierschutzgesetz ausdrücklich als mögliche Formen einer Würdeverletzung genannt werden, als Beeinträchtigungen eines Werts der Rechtfertigung bedürfen, muss dies erst recht für die Aufhebung des Werts an sich gelten. Das Würdeschutzkonzept ist demzufolge untrennbar mit der Achtung des tierlichen Lebens verknüpft.
Kurzfristig realisierbare Forderungen
Gesellschaft und Recht tolerieren das Töten von Tieren in unzähligen Bereichen, so etwa im Zusammenhang mit Tierversuchen, der Schlachtung zur Nahrungsgewinnung, der Schädlings- und Tierseuchenbekämpfung, der Bestandesregulierung und dergleichen. Selbst überzählige, unerwünschte oder nicht verwendbare Tiere werden in grosser Zahl getötet. So werden in der Schweiz beispielsweise jährlich über drei Millionen männliche Eintagsküken an ihrem ersten Lebenstag vergast, weil sie für die Legehennenzucht nicht infrage kommen und für die Mast nicht genügend Fleisch ansetzen. Zu denken ist aber auch an verhaltensgestörte, gefährliche oder leidende Tiere, denen das Recht auf Leben oftmals bedenkenlos abgesprochen wird. Da ein genereller Verzicht auf derartige Tötungen gesellschaftlich zurzeit (noch) nicht konsensfähig ist, konzentrieren wir uns auf kurzfristig realisierbare Forderungen:
- Die voraussetzungslose Tötung von Tieren ist wie oben dargelegten nicht mit dem Grundsatz der Achtung der Tierwürde vereinbar. Das Leben von Tieren ist daher zumindest insoweit zu schützen, als die Tötung eines Tieres – wie andere Verletzungen der Tierwürde auch – stets durch überwiegende Interessen gerechtfertigt sein muss. Jeder Tötung hat somit eine sorgfältige Abwägung zwischen den Interessen des Tiernutzers auf der einen und dem Interesse des Tieres am Weiterleben auf der anderen Seite vorauszugehen. Klarheit würde geschaffen, wenn das Leben von Tieren explizit in den Schutzzweck des Tierschutzgesetzes aufgenommen würde.
- Eine Tötung darf stets nur die Ultima Ratio sein. Sämtliche milderen Alternativen sind vorgängig abzuklären und gegebenenfalls vorzuziehen. Die Tötung überzähliger Versuchs-, Zirkus- oder Zootiere ist inakzeptabel, da sie nicht unvermeidbar sind. Für die Tierseuchenbekämpfung sind die Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen.
Bei der Bekämpfung von sogenannten Schädlingen ist soweit möglich deren Tötung zu vermeiden. Es dürfen nur erforderliche und verhältnismässige Massnahmen getroffen werden. Wird die Tötung der Tiere als unvermeidbar betrachtet, ist stets die schonendste Tötungsmethode zu wählen. Leimfallen und Giftpräparate in jeglicher Form sind abzulehnen.Zur Bestandsregulierung einzelner Tierarten sind Tötungsaktionen in der Regel ungeeignet, weil sie das Problem nur auf kurze Sicht lösen. Die durch die getöteten Individuen entstandenen Lücken werden meistens sehr rasch durch neue Tiere gefüllt. Es handelt sich um einen Regulationsmechanismus der Natur, der bereits bei diversen Tierarten (etwa Tauben, Katzen, Hunden, Nagern und Rehwild) beobachtet wurde.
- Vor dem Hintergrund des Würdeschutzkonzepts, das den Eigenwert von Tieren ausdrücklich anerkennt und diese auch vor Belastungen jenseits von Schmerzen, Leiden, Schäden oder Ängsten schützt, ist nicht nachvollziehbar, weshalb wirbellose Tiere vom Geltungsbereich des Tierschutzrechts ausgenommen sind. Auch die Tötung Wirbelloser sollte nur zulässig sein, wenn sie durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann.
- Die mutwillige – wie übrigens auch die qualvolle – Tötung eines Tieres steht in der Schweiz ausdrücklich unter Strafe (Art. 26 Abs. 1 lit. b TSchG). Darunter fällt unter anderem das Töten von Tieren aus Rache, Trotz, Spass am Töten, Gefühl- oder Mitleidlosigkeit, Übermut, Gedankenlosigkeit oder aus einer momentanen Laune heraus oder die Jagd auf eigens hierfür gezüchtete und ausgesetzte Tiere. Unter dem Aspekt des Mutwillens zu prüfen ist ferner auch das Töten von Tieren aus Aberglauben, Brauchtum oder Tradition, zu Unterhaltungszwecken, für Werbe-, Film- oder Fernsehaufnahmen oder als anderweitige Ausdrucksform von Kunst, infolge einer zu aufwendigen oder kostspieligen Tierhaltung oder zu Protestzwecken. Der Begriff des Mutwillens ist zum Schutz der betroffenen Tiere weit auszulegen. Entsprechende Handlungen sind konsequent zu verfolgen und zu ahnden.
Antworten auf gängige Argumente von Menschen, die Tiertötungen nicht als ethisches Problem verstehen
- Tiere sind Augenblickswesen und sich ihres Todes daher nicht bewusst.
Tiere haben Erwartungen und sind daher auch zukunftsgerichtet. Ob sie sich Vorstellungen über ihren Tod machen können, ist nicht klar. Das Verhalten der meisten Tiere ist aber darauf ausgerichtet, dem Tod auszuweichen. Offenbar haben Tiere also eine mindestens instinktive Abneigung gegen den Tod und entscheiden sich, haben sie die Wahl, mit Sicherheit für das Leben und gegen den Tod. Es ist erscheint daher wenig plausibel, ihnen ein (allenfalls unbewusstes) Interesse am Leben prinzipiell abzusprechen. - Es ist natürlich, dass der Mensch Tiere für seine Zwecke tötet. Schliesslich hat er das schon immer getan.
Aus dem Umstand, dass eine Verhaltensweise "natürlich" ist oder schon seit Langem praktiziert wird, lässt sich prinzipiell nicht ableiten, dass sie auch wünschenswert beziehungsweise in ethischer Hinsicht gerechtfertigt wäre. Die Ethik gebietet vielmehr, dass wir unser Tun stets kritisch hinterfragen und immer wieder von Neuem auf die Vereinbarkeit mit unseren Werthaltungen überprüfen.
Abgesehen davon ist die moderne menschliche Entwicklung unter anderem vom Bestreben geprägt, sich immer weiter von der Natur zu emanzipieren. Unser Leben hat kaum noch etwas mit jenem unserer Vorfahren in vorzivilisatorischen Epochen gemeinsam. Es erscheint inkonsequent, einerseits einen Lebensstil zu pflegen, der in vielerlei Hinsicht kaum noch als "natürlich" bzw. als im Einklang mit der Natur befindlich bezeichnet werden kann, und die damit verbundenen Annehmlichkeiten zu geniessen, anderseits aber das Töten Tieren damit zu rechtfertigen, dass dies ein einem natürlichen Lebensstil entsprechendes Verhalten darstelle. Schliesslich lehnt auch kaum jemand die Nutzung moderner Verkehrs- oder Kommunikationstechnologie mit dem Hinweis darauf ab, dass diese nicht zu einem natürlichen Lebensstil passe. Ausserdem kann die industrialisierte Tiertötung, wie sie heute die Regel ist, ohnehin nicht mit der ursprünglichen, "natürlichen" Form der Tötung von Tieren verglichen werden. - Es ist nichts Verwerfliches, die eigene Spezies den übrigen vorzuziehen. Dies ist das Gesetz der Natur; andere sozial lebende Tiere tun dies auch.
Die menschliche Ethik basiert auf dem Grundsatz, dass die Zufügung von Leid und die Hinderung anderer an der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen grundsätzlich negativ zu bewerten ist. Ausgehend davon, dass Tieren ein (zumindest unbewusstes) Interesse am Weiterleben nicht abgesprochen werden kann, ist es objektiv betrachtet nicht zu rechtfertigen, dieses Interesse mit der Begründung zu ignorieren, dass die Betroffenen einer anderen Spezies angehören. Eine solche Argumentation würde auf dem gleichen Denkmuster beruhen wie die Diskriminierung gewisser Menschengruppen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder eines bestimmten Geschlechts oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, deren zumindest formale Überwindung in unserem Kulturkreis gemeinhin als grosse zivilisatorische Errungenschaft gilt.
Darüber hinaus betont der Mensch regelmässig seine Sonderstellung innerhalb der Natur und beurteilt die Verhaltensweise der Tiere häufig abwertend als "bestialisch". Vor diesem Hintergrund wäre es inkonsequent, sich zur Rechtfertigung eines Tuns plötzlich auf die Stufe des "vernunftunbegabten" Tieres zu stellen und dieses als Vorbild zu nehmen. Die Natur kennt keine Moral. Der Mensch hingegen nimmt für sich in Anspruch, sein Handeln an moralischen Grundsätzen auszurichten.
- Wir leben in einer Welt, in der das Leben auf Kosten anderer unumgänglich ist.
Wir müssten tatsächlich aufhören zu leben, wollten wir niemandem schaden. Man kann aber zumindest versuchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Verhaltensweisen, die direkt darauf abzielen, andere Individuen in fundamentaler Weise zu schädigen, sind in ethischer Hinsicht kaum zu rechtfertigen, sofern sie nicht zwingend zur Erhaltung der eigenen Gesundheit bzw. der eigenen Lebensgrundlagen erforderlich sind. - Selbst vom Tötungsverbot gegenüber Menschen gibt es Ausnahmen. Erst recht muss es solche für die Tötung von Tieren geben.
Die einzige weitestgehend unbestrittene Ausnahme vom Verbot des Tötens von Menschen ist die Notwehr, wenn sie die einzige Massnahme zur Erhaltung des bedrohten eigenen oder nächsten Lebens ist. Dieses Notwehrrecht gilt selbstverständlich auch gegenüber Tieren. Darüber hinaus kann wohl auch die Euthanasie schwer leidender Tiere als gerechtfertigt betrachtet werden, sofern sich das Leiden nicht mit einer milderen Massnahme beseitigen lässt. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass das Leben von Tieren grundsätzlich nicht zu schützen sei.
© Stiftung für das Tier im Recht, Mai 2025
Weitere Informationen:
- Literatursuche in der Online-Datenbank der TIR-Bibliothek mit dem Schlagwort "Lebensschutz" oder "Tötungsverbot".