TIR empfiehlt ein Ja zur Initiative gegen Massentierhaltung
Die Abstimmungskampagne für die Initiative "JA zu einer Schweiz ohne Massentierhaltung" geht in den Endspurt. Mit Plakaten und digitaler Werbung in der ganzen Schweiz, Online-Inseraten und einer Video-Kampagne machen sich die Initiantinnen für das Anliegen stark. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) fasst die Ziele der Initiative nochmals zusammen. Die Annahme der Initiative wäre ein wichtiger Schritt zu einer tatsächlichen Respektierung der Tierwürde in der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
30.08.2022
Nachdem das Bundesparlament die Initiative für eine Schweiz ohne Massentierhaltung zur Ablehnung empfohlen und auch den direkten Gegenvorschlag des Bundesrats sowie die Minderheitenanträge aus dem Nationalrat abgelehnt hat, kommt die Initiative am 25. September 2022 nun vors Volk. Der Abstimmungskampf ist in vollem Gange: In der ganzen Schweiz sind Kampagnenplakate und eine von der TIR mitgetragene digitale Werbekampagne zu sehen. Zudem engagieren sich schweizweit mehr als dreissig Regionalgruppen für die Initiative und informieren an Standaktionen über die Massentierhaltung. Freiwillige, die an einer ihrer Veranstaltungen aktiv teilnehmen oder die Regionalgruppen sonstwie unterstützen möchten, können diese hier direkt kontaktieren.
- Die Initiative fordert mehr Platz pro Tier, kleinere Gruppengrössen und weniger Tiere pro Hektar Weidefläche. Heute dürfen bis zu 27‘000 Hühner oder 1500 Schweine in einer Halle gehalten werden, was den verfassungs- und tierschutzrechtlich garantierten Schutz des Individuums unmöglich macht. Insbesondere in der Hühnermast sterben viele Tiere unbemerkt, was von Industrieseite in Kauf genommen und von den Behörden geduldet wird: In der Geflügelmast wird eine Mortalitätsrate von bis zu 4 Prozent des Tierbestands pro Mastzyklus akzeptiert, obwohl es sich aus tierschutzrechtlicher Sicht bei jedem einzelnen dieser Todesfälle um eine potenzielle qualvolle Tötung durch Unterlassen handelt.
- Zudem verlangt das Anliegen adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten, Einstreu für alle Tiere und eine artgerechte Fütterung. Heute leben viele Tiere in der Landwirtschaft eng zusammengepfercht auf kahlen Betonböden und haben kaum Beschäftigungsmöglichkeiten, was sich bei Schweinen unter anderem durch Schwanzbeissen und Kannibalismus äussert. Aufgrund der Hochleistungszucht sind viele Tiere in der Landwirtschaft auf nicht artgerechtes Kraftfutter angewiesen, das mehrheitlich aus dem Ausland importiert wird, was wiederum der verfassungsrechtlich verankerten Förderung einer standortangepassten Lebensmittelproduktion (Art. 104a lit. b BV) widerspricht.
- Ein grosser Teil der landwirtschaftlich genutzten Tiere in der Schweiz hat keinen regelmässigen Zugang ins Freie. Für Masthühner ist die Situation noch dramatischer: Aufgrund der überzüchteten Rassen, die in der Hühnermast eingesetzt werden, können sich die Tiere aufgrund der unnatürlich schnellen Gewichtszunahme oftmals bereits nach wenigen Wochen nicht mehr richtig bewegen, sodass sie selbst dann nicht von Auslauf profitieren können, wenn dieser vorhanden wäre. Deshalb fordert die Initiative den täglichen Weidezugang für alle Tiere und den Einsatz langsamer wachsender Rassen
- Ein weiteres Anliegen der Initiative ist eine schonende Schlachtung. Dazu gehören kurze Transportwege sowie schonende Betäubungs- und Entblutungsmethoden und bessere Kontrollen des Betäubungsvorgangs. Fische dürfen nach geltendem Recht in Gruppen in elektrisch geladenen Wasserbecken betäubt werden, und es genügt, wenn der Betäubungserfolg lediglich pro Gruppe kontrolliert wird (Anhang 6 der Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Schlachten, VTSchS). Eine ähnliche Regelung gilt für die Elektro- und Gasbetäubung von Geflügel: Der Betäubungserfolg ist grundsätzlich "pro Charge" – d.h. pro 20 oder mehr Tiere, die während einer Minute über das Schlachtband laufen – und nur stichprobenweise oder bei Bedarf beim einzelnen Tier zu überprüfen (Anhang 5 Ziff. 3 VTSchS). Auch die CO2-Betäubung ist heute immer noch erlaubt, obwohl diese Betäubungsmethode bei den betroffenen Individuen nachweislich zu Atemnot und Panik führt und damit als klar tierschutzwidrig zu bezeichnen ist.
- Diese Regelungen dienen allein der Praktikabilität und ignorieren den
geltenden Individualtierschutz, indem in Kauf genommen wird, dass
Fehlbetäubungen unentdeckt bleiben und die betreffenden Tiere bei
Bewusstsein entblutet werden bzw. dass Tiere unnötig leiden, ehe sie
bewusstlos werden.
Im Rahmen einer 2018 und 2019 durchgeführten Analyse "Tierschutz und Fleischkontrolle in Schlachtbetrieben" der Bundeseinheit für die Lebensmittelkette (BLK) wurde festgestellt, dass die im Rahmen der Unterbringung sowie der Betäubung und Entblutung vorgeschriebene Selbstkontrolle durch die Schlachtbetriebe häufig nicht sichergestellt sei (S. 2 BLK-Bericht) und die Mehrheit der kantonalen Behörden von den Schlachtbetrieben keine dokumentierte Selbstkontrolle verlange. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Veterinärdienste die tatsächliche Situation über Unterbringungen, Betäubung und Entblutung im Schlachtbetrieb überwachen. Vor allem in Betrieben mit geringer Kapazität fehle fast immer die vorgeschriebene Dokumentation der Selbstkontrolle, und insbesondere die geforderten Kontrollen des Betäubungs- und Entblutungserfolgs erfolgten kaum (S. 18 BLK-Bericht). Zudem überprüften nur wenige amtliche Tierärztinnen und Tierärzte, ob die Dokumentation vorhanden und ob sie allenfalls plausibel ist (S. 15 BLK-Bericht). Im Hinblick auf das immense Leid, das eine ungenügende Betäubung oder Entblutung für die betroffenen Tiere zur Folge hat, bedarf es dringend einer strikteren Kontrolle des Betäubungserfolgs. Das System der Selbstkontrolle stellt ohnehin bereits eine aus Tierschutzsicht unzureichende Anforderung an die Schlachtbetriebe dar, wenn man bedenkt, dass dem höchstsensiblen Bereich der Betäubung und Entblutung von Tieren nur mit einer unabhängigen – d.h. behördlichen – Kontrolle Genüge getan werden könnte. In Zusammenarbeit mit TIR-Stiftungsrat und Ständerat Daniel Jositsch (SP/ZH) und Nationalrätin Meret Schneider (GPS/ZH) hat die TIR verschiedene Möglichkeiten behördlicher Kontrollen vorgeschlagen. - Schliesslich verlangt die Initiative, dass importierte Tierprodukte den neuen Schweizer Standards entsprechen. Diese Regelung ist wichtig, damit das verbesserte Tierschutzniveau nicht durch den Import von Produkten, die nach in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden erzeugt wurden, verwässert wird.
Der Schutz der Tierwürde ist zwar sowohl auf Verfassungsebene als auch im Tierschutzgesetz ausdrücklich verankert. Dennoch orientiert sich die heutige Tierschutzgesetzgebung immer noch primär am menschlichen Nutzungsinteresse und erlaubt die Intensivhaltung von Tieren in der Landwirtschaft, die zweifellos als übermässige Instrumentalisierung zu bezeichnen ist. Der Wert dieser Tiere wird fast ausschliesslich an ihrer Leistungsfähigkeit gemessen und ihre Haltung auf ökonomische Effizienz ausgerichtet. Die damit verbundene systematische Verletzung des Tierwohls dient primär finanziellen Interessen, die für sich allein jedoch keinesfalls ausreichen, um die Belastungen für die Tiere zu legitimieren. Im Lichte des Würdeschutzprinzips ist unser Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft deshalb grundlegend zu überdenken und sind die Gesetze und dazugehörigen Verordnungen an den tatsächlichen Bedürfnissen der Tiere und nicht an rein wirtschaftlichen Interessen auszurichten.