Studien zeigen erhebliche Qualitätsmängel bei der Durchführung von Tierversuchen auf
Eine Forschergruppe der Universität Bern hat vergangene Woche zwei
Studien zur wissenschaftlichen Qualität von Tierversuchen in der Schweiz
veröffentlicht. Die vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und
Veterinärwesen (BLV) in Auftrag gegebenen Analysen zeigen auf, dass bei
der Durchführung von Tierexperimenten und der Publikation der jeweiligen
Ergebnisse gravierende Defizite bestehen.
09.12.2016
Die Einhaltung solcher Grundsätze ist bei der Durchführung von Tierversuchen von grosser Bedeutung für die Aussagekraft der jeweiligen Ergebnisse. Grundsätzlich dürfen Tierexperimente nur dann durchgeführt werden, wenn der zu erwartende Erkenntnisgewinn die Belastungen der Tiere überwiegt. Mit abnehmender wissenschaftlicher Qualität der Versuchsdurchführung sinkt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit eines bedeutenden Erkenntnisgewinns. Tierversuche, bei deren Durchführung wesentliche Kriterien guter Forschungspraxis missachtet werden, dürften daher gar nicht bewilligt werden.
Das Fehlen von Angaben zur Einhaltung der betreffenden Kriterien in den Versuchsanträgen und den Publikationen über die Resultate der Versuche bedeutet aber nicht automatisch, dass diese bei der Durchführung der Experimente tatsächlich nicht beachtet wurden. Deshalb befragten die Autoren der Studie in einem zweiten Schritt rund 2000 an Tierversuchen beteiligte Forschende dazu, welche Kriterien guter Forschungspraxis sie normalerweise einhalten und zu welchen dieser Kriterien sie in ihrer letzten wissenschaftlichen Publikation konkrete Angaben gemacht hatten. Etwa 30 Prozent der angeschriebenen Forschenden beteiligten sich an der Umfrage. Die Antworten zeichneten dabei sowohl in Bezug auf die Beachtung der Kriterien guter Forschungspraxis als auch hinsichtlich deren Erwähnung in den entsprechenden Veröffentlichungen ein wesentlich positiveres Bild als die Untersuchung der Versuchsanträge und der Publikationen.
Die Verfasser der Studie schliessen aus den Umfrageresultaten einerseits, dass die wissenschaftlichen Qualitätsstandards wohl öfter eingehalten werden als es die Versuchsanträge und die Veröffentlichungen der Resultate der Versuche vermuten lassen.
In der bisherigen Tierversuchsbewilligungspraxis wird in weiten Teilen auf die Einhaltung der Kriterien guter Forschungspraxis vertraut. Da die beiden aktuellen Studien jedoch darauf hindeuten, dass dieses Vertrauen oftmals nicht gerechtfertigt ist, sehen die Autoren auch Handlungsbedarf beim Genehmigungsverfahren. Ausserdem plädieren sie für vermehrte Investitionen in die Aus- und Weiterbildung in Methoden guter Forschungspraxis und wissenschaftlicher Integrität.
Für Tier im Recht (TIR) stellen die Studien einen weiteren Beleg dafür dar, dass die Tierschutzbestimmungen bezüglich der Bewilligung von Tierversuchen nicht mit der notwendigen Konsequenz umgesetzt werden. Die Tierversuchskommissionen und die Bewilligungsbehörden sind verpflichtet, Tierversuchsanträge, die nicht sämtliche Bewilligungsvoraussetzungen erfüllen, zurückzuweisen. Dass offenbar regelmässig Versuchsvorhaben genehmigt werden, bei denen essenzielle wissenschaftliche Qualitätsstandards missachtet werden und ein bedeutender Erkenntnisgewinn daher von Beginn an praktisch ausgeschlossen werden kann, ist aus Tierschutz- wie auch aus rechtlicher Sicht inakzeptabel.
Auch die Statistiken der kantonalen Veterinärdienste zeigen, dass Tierversuchsanträge nur in den seltensten Fällen abgelehnt werden. Die Schweiz rühmt sich häufig damit, über eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt und insbesondere über sehr strikte Vorschriften hinsichtlich der Bewilligung von Tierversuchen zu verfügen. Werden die Bestimmungen aber nicht umgesetzt, sind sie letztlich wertlos. Von den Kommissionen und den Bewilligungsbehörden ist daher zu verlangen, dass sie alle Anträge unvoreingenommen auf ihre Bewilligungsfähigkeit hin überprüfen und die Genehmigung konsequent verweigern, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind.
Weitere Informationen
- Vogt, L./Reichlin, T.S./Nathues, C./Würbel, H., Authorization of animal experiments in Switzerland is based on confidence rather than evidence of scientific rigor, PLOS Biology, in press, Bern 2016
- Reichlin, T.S./Vogt, L./Würbel, H., The researchers’ view - Survey on the design, conduct, and reporting of in vivo research, PLOS ONE, 11(12): e0165999, Bern 2016