Hundebissvorfälle – wie weiter?
Die Stiftung für das Tier im Recht ist erschüttert über den heutigen Beissvorfall mit Todesfolge für einen Knaben. Damit sich solch tragische Vorfälle nicht wiederholen, fordert sie den Bundesrat auf, die Ausbildung von Hundehaltern in der Tierschutzverordnung streng zu regeln. Haftpflichtversicherungen sind angehalten, für Hundehaltende ein Bonus-/Malussystem einzuführen und verantwortungsvolle und gut ausgebildete Tierhalter mit Prämienvergünstigungen und weiteren Massnahmen zu unterstützen.
01.12.2005
Auf tragische Weise ist heute im zürcherischen Oberglatt ein sechsjähriger Knabe auf dem Weg in den Kindergarten von drei Hunden angefallen und getötet worden. Die Polizei nahm den Halter der Tiere fest und die Hunde in Obhut. Die Stiftung für das Tier im Recht ist über diesen noch in Abklärung befindlichen Vorfall entsetzt und bringt gegenüber der Familie des verstorbenen Kindes ihr tiefes Beileid zum Ausdruck. Ohne dem Untersuchungsergebnis vorgreifen zu wollen, sind aus rechtlicher Sicht einige Aspekte zur Mensch-Hund-Beziehung in Erinnerung zu rufen:
Wenngleich Hunde unser Leben generell bereichern und weite gesellschaftliche Akzeptanz und gar Unterstützung (etwa zu therapeutischen Zwecken in Altersheimen) finden: ihre Haltung ist anspruchsvoll. Nicht immer kann ihren Bedürfnissen nach guter Haltung, Pflege und Sozialkontakten Rechnung getragen werden; so sind unwürdig gehaltene Hunde keine Seltenheit (www.tierschutz.org/vollzug/fallgruppen/heimtiere/hunde). Eine wichtige Aufgabe für Hundehaltende ist es, die Äusserungen ihrer Tiere in Lauten, Gestik und Verhalten richtig lesen und interpretieren zu können. Zahllose Beissunfälle hätten auf diese Weise schon vermieden werden können, und die Konsultation entsprechender Fachliteratur (z.B. (www.tierschutz.org/bibliothek/detail.php?id=374) sowie der Besuch qualifizierter Aus- und Weiterbildungskurse (z.B. www.certodog.ch) müsste eigentlich obligatorisch erklärt werden. Nicht zuletzt deshalb schreibt zumindest das deutsche Tierschutzgesetz vor, dass Tierhaltende „über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnis und Fähigkeiten verfügen“ müssen (§ 2 Ziffer 3 TierSchG/BRD). Mit dem soeben fast ganz verabschiedeten neuen Schweizer Tierschutzgesetz wird der Bundesrat (voraussichtlich ab Mitte 2007) die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung von Tierhaltenden und von Tierausbildern regeln (Art. 6 Abs. 3 des neuen TSchG/CH). Die Stiftung für das Tier im Recht fordert den Bundesrat schon heute auf, sich im Rahmen der Verordnung ganz besonders der Ausbildung von Hundehaltenden zu widmen, um die Wahrscheinlichkeit ähnlicher dramatischer Vorfälle zu minimieren.
In der Debatte um gefährliche Hunde geht manchmal die Erkenntnis unter, dass Hundehaltende grundsätzlich für sämtliche Schäden haften, der ihre Tiere verursachen (www.tierschutz.org/tierundrecht/andere/privatrecht/weitere/haftung.php). Schnell können sich Forderungen im Zusammenhang mit Hundebissen und –vorfällen auf mehrere hunderttausend Franken belaufen, etwa bei Autounfällen wegen sich auf die Fahrbahn verirrten Hunden (Bundesgerichtsentscheid BGE 110 II 136) oder bei einem überraschend auftauchenden angeketteten Wachhund (BGE 102 II 232). Auch belaufen sich Genugtuungssummen auf einige zehntausend Franken an Eltern und allfällige Geschwister der Opfer. Eine Versicherungsgesellschaft – sofern Hundevorfälle überhaupt durch die private oder gewerbliche – Haftpflichtversicherung gedeckt sind – wird sorgfältig prüfen, ob sie für diese Forderungen aufkommen muss, was nicht immer der Fall ist (www.tierschutz.org/tierundrecht/andere/weiteres/versicherungsrecht.php). So kann es kommen, dass Hundehaltende wegen Beissvorfällen nicht nur mental, sondern auch finanziell für den Rest ihres Lebens ruiniert sind.
Die Stiftung für das Tier im Recht wiederholt deshalb ihre Forderung an
die Schweizer Haftpflichtversicherungen, für Hundehaltende ein
Bonus-/Malussystem einzuführen und Tierhalter, die sich ausschliesslich
auf Gesundheit hin gezüchtete Hunde anschaffen und sich besonders
verantwortungsbewusst der Aus- und Weiterbildung bei qualifizierten
Hundeausbildern widmen, mit Prämienvergünstigungen und weiteren
Massnahmen zu unterstützen.
Ob sog. „Rasselisten“ und die Bewilligungspflicht für das Halten von
Hunden bestimmter Rassen geeignet sind, Hundevorfälle zu vermeiden, ist
fraglich. Vorgesehen ist dies beispielsweise im Kanton Basel-Landschaft
(www.baselland.ch/docs/recht/sgs_3/342.12.htm;
www.tierschutz.org/tierschutz/problembereiche/heimtiere/zucht/aspekte/aggressivitaet.php).
Häufig verursachen gerade nicht aufgelistete Hunde Schäden und wiegt
sich die Bevölkerung in falscher Sicherheit. Der im vorliegenden Fall
zuständige Kanton Zürich hat es mit seinem langjährigen Gesetz über das
Halten von Hunden – d.h. ohne entsprechende Rasselisten – belassen
(www.zhlex.zh.ch/Erlass.html?Open&Ordnr=554.5). §§ 6 – 8 des
Erlasses befassen sich generell mit gefährlichen und angriffigen Hunden.
Es ist zu hoffen, dass der heutige erschütternde Vorfall nicht die
Hysterie rund um gefährliche Hunde neu entfachen, sondern die Tragweite
der Verantwortung und Haftung von Hundehaltenden sachlich in Erinnerung
rufen möge.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte
Stiftung
für das Tier im Recht, Dr.iur. Antoine F. Goetschel oder Dr. iur. Gieri
Bolliger, www.tierimrecht.org, info@tierimrecht.org; Tel. 043 443 06
43.
- Pressemitteilung der Kantonspolizei Zürich
- Artikel Online Ausgabe des Tages Anzeiger "Pitbulls beissen Kindergärtler zu Tode" vom 1. Dezember 2005
- Bericht Tele M1 "Politiker fordern verschärfte Massnahmen" inkl. Stellungnahme von Antoine F. Goetschel vom 1. Dezember 2005
- Artikel Tierwelt vom 9. Dezember 2005 "Hundebisse - wie weiter?"
- Artikel Neue Luzerner Zeitung "Hundeattacke" mit Interview mit Gieri Bolliger vom 2. Dezember 2005
- Interview mit Antoine F. Goetschel vom 4. Dezember 2005 auf DRS 1
- Artikel in der Online Ausgabe der NZZ vom 2. Dezember 2005 "Knabe in Oberglatt von drei Hunden zu Tode gebissen"