TIR erneut ernüchtert: Rückblick auf die Sommersession 2023
In der Sommersession wurden mehrere tierschutzrelevante Vorstösse behandelt. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) ist erneut enttäuscht über deren Ausgang. Der gesellschaftliche Stellenwert des Tierschutzes findet beim Bundesrat und im Parlament – insbesondere im Ständerat – weiterhin kaum Beachtung.
26.06.2023
Viermal im Jahr finden im Bundeshaus ordentliche Sessionen statt, in deren Rahmen National- und Ständerat die laufenden Geschäfte beraten. Gegenstand der Verhandlungen bilden etwa Gesetzesvorlagen oder Aufträge an den Bundesrat, die von Parlamentsmitgliedern vorgeschlagen werden. Die diesjährige Sommersession fand vom 30. Mai bis zum 16. Juni statt. Gleich mehrere Vorstösse verlangten Importverbote oder Deklarationspflichten für tierquälerisch hergestellte Produkte. Das Fazit ist jedoch ein weiteres Mal ernüchternd ausgefallen. Die vergangene Session hat erneut gezeigt, dass Tierschutzanliegen noch immer nur von einer Minderheit des Parlaments vertreten werden und nicht das nötige Gewicht erhalten. Immerhin ist jedoch eine leichte Tendenz in Richtung Stärkung des Tierschutzes zu verzeichnen.
Motion Deklarationspflicht für Reptilienleder
In der Schweiz ist Reptilienleder insbesondere in der Uhrenindustrie von Bedeutung. Etwa 95 Prozent des in der Schweizer Uhrenindustrie verwendeten Reptilienleders werden von Alligatorenfarmen in den USA bezogen, die übrigen 5 Prozent entfallen auf Reptilienhäute aus Asien, Südamerika, Afrika oder Australien, wobei sie in den asiatischen Ländern meist von Pythons und Waranen aus Wildfang stammen. Bei Reptilienledererzeugnissen handelt es sich aufgrund der teilweise äusserst brutalen Gewinnungsmethoden (vgl. etwa den Bericht der "Rundschau" von 2010) um besonders umstrittene Produkte, die dementsprechend auch seit vielen Jahren immer wieder thematisiert werden, wenn es um mögliche Importverbote oder Deklarationspflichten für tierische Erzeugnisse aus dem Ausland geht.
Die Motion 19.3200 von Martina Munz (SP/SH) forderte eine Deklarationspflicht für Reptilienleder und daraus hergestellte Produkte. Konsumentinnen und Konsumenten sollten so in Anlehnung an die Pelzdeklarationsverordnung Klarheit über Tierart, Herkunft und Gewinnungsart erhalten. Die vorberatende Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats (WBK-S) empfahl die Ablehnung des Vorstosses mit der Begründung, dass ihrer Ansicht nach keine Notwendigkeit für eine solche Massnahme bestehe, weil das in die Schweiz importierte Reptilienleder gemäss Angaben des Bundesrats fast gänzlich aus Ländern stamme, in denen die internationalen Standards für das tiergerechte Töten von Reptilien eingehalten würden. Zudem sei ein Grossteil der in der Schweiz aus Reptilienleder hergestellten Luxusprodukte für den Export bestimmt und somit gar nicht von der Deklarationspflicht erfasst. Die Einführung einer solchen Deklarationspflicht sei folglich unverhältnismässig. Der Ständerat folgte dem Antrag der Kommission und lehnte die Motion mit 28 zu 12 Stimmen bei vier Enthaltungen ab, nachdem der Nationalrat sie vor rund zwei Jahren noch mit deutlicher Mehrheit gutgeheissen hatte.
Deklaration von Kokosprodukten aus affenquälerischer Produktion
Ein weiterer Vorstoss betraf die Ernte von Kokosnüssen in Thailand, die gemäss Berichterstattung von Medien und Tierschutzorganisationen (so bspw. PETA) zuweilen auf tierquälerische Weise erfolgt. Hierbei werden Affen oftmals in sehr jungem Alter von ihren Familien getrennt und fristen in der Folge ein Leben an der Kette. Durch gewaltsames Training lernen sie, Kokosnüsse zu pflücken, die der Herstellung von Kokosmilch, Kokosöl und anderen Kokosprodukten dienen.
Die Motion 20.4232 von Meret Schneider (Grüne/ZH) forderte eine Deklarationspflicht für Kokosprodukte, die unter Einbezug von Affen produziert wurden. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Dies mit der Begründung, es gäbe keinen internationalen Konsens in Bezug auf eine allgemein anerkannte Definition für den Einsatz von Tieren für die Ernte oder die Herstellung von Nahrungsmitteln. Weiter wären auch die Umsetzung und die Kontrolle nur schwer möglich. Eine Deklarationspflicht sei folglich abzulehnen. Der Nationalrat hatte die Motion entgegen der Empfehlung des Bundesrates noch angenommen (92 zu 91 Stimmen, fünf Enthaltungen), der Ständerat lehnte sie nun jedoch mit 19 zu 13 Stimmen bei einer Enthaltung ab.
Motion Importverbot für tierquälerisch erzeugte Stopfleberprodukte
Das Stopfen von Gänsen und Enten ist aufgrund der offensichtlichen Brutalität, die damit verbunden ist, bereits in fast allen europäischen Ländern – mit Ausnahme etwa von Frankreich, Ungarn und Bulgarien – verboten. Den Tieren wird hierbei mehrmals täglich ein Metall- oder Kunststoffrohr in den Schlund gestossen, um ihnen grosse Mengen Maisbrei in den Magen zu pressen. Sie leiden in der Folge unter Atemnot, Knochenbrüchen und Leberzirrhosen, zahlreiche Tiere sterben während des Stopfvorgangs.
In der Schweiz gilt diese Produktionsmethode als Misshandlung, sie ist daher seit über 40 Jahren verboten. Weil Gänse- bzw. Entenstopfleberpastete (pâté de foie gras) als Delikatesse jedoch von einem Teil der Schweizer Bevölkerung und auch von Mitgliedern des Parlaments als Delikatesse geschätzt wird, werden entsprechende Produkte in grosser Menge importiert.
Die Motion 20.3021 von Martin Haab (SVP/ZH) wollte den Import dieser zweifellos tierquälerischen Erzeugnisse aus Tierschutzgründen verbieten. Der Bundesrat empfahl jedoch, die Motion abzulehnen und stattdessen eine Deklarationspflicht einzuführen, um internationale Handelsbestimmungen nicht zu verletzen. Im Nationalrat wurde die Motion dennoch mit 119 zu 61 Stimmen bei neun Enthaltungen angenommen. Die vorberatende Kommission des Ständerats schlug seiner Kammer nun eine abgeänderte, dem Bundesrat entsprechende Version vor, die lediglich eine Deklarationspflicht forderte. Diese wurde nun mit äusserst knapper Mehrheit (19 zu 18 Stimmen, keine Enthaltungen) angenommen, wobei der Stichentscheid durch die Ratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller (Mitte/TG) den Ausschlag zur Ablehnung des Importverbotes gab. Das Geschäft wird nun erneut an den Nationalrat zurückgewiesen, der darüber entscheidet, ob tatsächlich eine entsprechende Deklarationspflicht eingeführt werden soll.
Fazit
Die Entscheide des Ständerats fallen erneut ernüchternd aus. Die angeführten Begründungen – auch des Bundesrats –, weshalb von einer Deklarationspflicht bzw. von einem Importverbot im jeweiligen Fall abzusehen sei, sind aus Sicht der TIR nicht nachvollziehbar. Vielmehr widerspiegeln sie den noch immer fehlenden politischen Handlungswillen im Bundeshaus und insbesondere in der kleinen Kammer, wenn es um Tierschutzbelange geht. Sämtliche internationalen Abkommen sehen Ausnahmen für Massnahmen vor, die zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit oder des Lebens und der Gesundheit von Tieren erforderlich und nicht protektionistisch motiviert sind. Vor diesem Hintergrund wäre es dringend angezeigt, eine Reihe von tierquälerisch erzeugten Produkten endlich konsequent vom Handel auszuschliessen und dem verfassungsmässig verankerten öffentlichen Interesse der Schweiz am Tierschutz Nachachtung zu verschaffen, statt Tierquälerei ins Ausland zu verlagern. Auch die Verweise auf die Schwierigkeit der Umsetzung etwa von Deklarationspflichten erweisen sich als inkonsistent und in Anbetracht der herrschenden Intransparenz gerade im globalen Handel als unangemessen. Es wirkt vielmehr so, als würde der Bundesrat immer dann, wenn ein Importverbot reelle Chancen auf Durchsetzung im Parlament hat, auf eine entsprechende Deklarationspflicht ausweichen. Wird eine solche jedoch vom Parlament direkt angestrebt, skizziert sie der Bundesrat zumeist als nicht umsetzbar.
Erzeugnisse, die im Rahmen ihrer Herstellung zwangsläufig mit vollständiger Ausbeutung von Tieren oder Menschen einhergehen, gehören nicht ins Angebot und dürfen nicht der Wahlfreiheit der Konsumentenschaft unterliegen. Deklarationspflichten sind in diesen Bereichen deshalb unzureichend, wenngleich aus Sicht der TIR ein Schritt in die richtige Richtung. Insofern ist zu begrüssen, dass das Parlament vor zwei Jahren die Motion 20.4267 "Deklaration von in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden" der WBK-S an den Bundesrat überwiesen hat (siehe TIR-Newsmeldung vom 18.06.2021). Der Bundesrat hat aufgrund dieses parlamentarischen Auftrags inzwischen angekündigt, für tierische Produkte, die ohne Schmerzausschaltung gewonnen werden – so etwa für Froschschenkel oder Produkte von Tieren, die betäubungslos kastriert wurden – sowie für Stopfleber eine Deklarationspflicht einführen zu wollen (siehe hierzu auch TIR-Newsmeldung vom 14.04.2023). Zu beachten ist, dass die beabsichtigten Massnahmen lediglich einen Teil des parlamentarischen Auftrags abdecken, zumal gemäss Parlament sämtliche in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden deklariert werden sollen. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu grotesk, dass der Ständerat eine Deklaration für Reptilienleder oder Kokosprodukte nun abgelehnt hat.
Die vergangene Sommersession zeigt erneut die fehlende Empathie im Parlament, wenn es um Tiere geht. Umso bedeutender ist es, im Hinblick auf die Wahlen im Herbst Politikerinnen und Politiker ins Parlament zu wählen, die tierschutzrechtlichen Anliegen die dringend nötige Aufmerksamkeit widmen. Informationen zu den Kandidatinnen und Kandidaten und deren Wohlwollen gegenüber Tieren als schützenswerte Mitglieder unserer Gesellschaft liefert die Website Tier-Parlament. Bitte informieren Sie sich und wählen Sie tierfreundliche Personen ins Schweizer Parlament!
Weitere Informationen:
- Motion Deklarationspflicht für Reptilienleder (Martina Munz, SP)
- Motion Deklaration von Kokosprodukten aus affenquälerischer Produktion (Meret Schneider, Grüne)
- Motion Importverbot für tierquälerisch erzeugte Stopfleber (Martin Haab, SVP)
- Motion Deklaration von in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden (WBK-SR)
- Gemeinsames Positionspapier zur Motion 20.3021 "Importverbot für tierquälerisch erzeugte Stopfleber"
- Informationen zu Reptilienleder