Interpellation Jositsch zum Enthornen von Rindern – TIR fordert Verbot
In einer Interpellation vom 6. Juni 2011 unterbreitet Strafrechtsprofessor und Nationalrat Daniel Jositsch (SP/ZH) dem Bundesrat einige kritische Fragen zum Enthornen von Rindern. Grundlage für den Vorstoss bildet ein Rechtsgutachten der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) über die umstrittene Praktik. Die TIR kommt darin zum Schluss, dass das Enthornen eine Missachtung der Tierwürde bedeutet und somit rechtswidrig ist.
08.06.2011
Die zunehmende Umstellung von der Anbindehaltung zu – eigentlich tierfreundlicheren – Laufställen veranlasst viele Tierhalter, ihren Rindern die Hörner zu entfernen. Dies hauptsächlich, um die angebliche Verletzungsgefahr für den Menschen und die Tiere selbst zu verringern, zusätzlich aber auch aus wirtschaftlichen Motiven. Schätzungen zufolge sind heute rund 90 Prozent aller Rinder hornlos.
Die TIR hat die Praktik des Enthornens in einem ausführlichen Rechtsgutachten vor allem unter dem Aspekt des Schutzes der Tierwürde, der dem Schweizer Tierschutzrecht als fundamentales Prinzip zugrunde liegt, analysiert. Ein Eingriff in die Tierwürde ist rechtswidrig, wenn er nicht mit überwiegenden schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt werden kann (Art. 3 lit. a TSchG). Die hierfür erforderliche Verhältnismässigkeitsprüfung ergibt, dass das Enthornen für die angestrebten Ziele zwar geeignet, jedoch nur bezüglich der wirtschaftlichen Interessen der Tierhalter auch erforderlich ist. Die Verletzungsgefahr für Tiere und Pflegepersonal lässt sich durch zweckmässige Vorkehrungen (bauliche Aspekte, Herdenmanagement und eine gute Mensch-Tier-Beziehung) bei der Laufstallhaltung erheblich vermindern.
In der Güterabwägung darf das Argument der Verletzungsgefahr somit nicht berücksichtigt werden. Die auf der Seite des Eingriffsnutzens verbleibenden wirtschaftlichen Gründe für das Enthornen vermögen die erheblichen Belastungen für die Tiere bei weitem nicht aufzuwiegen: Der Eingriff bedeutet – selbst wenn er schmerzfrei durchgeführt wird – eine gravierende Verstümmelung, einen beträchtlichen und irreversiblen körperlichen Schaden und somit eine Verletzung der tierlichen Integrität. Zudem beeinflusst er massiv das Sozialverhalten der Tiere, die grundlegende Fähigkeiten und Funktionen nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr ausleben können. Weil die Enthornung dazu dient, die Tiere künstlich an ein Haltungssystem anzupassen, liegt zudem auch eine übermässige Instrumentalisierung vor.
Insgesamt stellt das Enthornen für die betroffenen Tiere einen schwer wiegenden Eingriff in ihre Würde dar, der durch die entgegenstehenden Interessen nicht gerechtfertigt werden kann.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse hat Nationalrat Prof. Daniel Jositsch eine Interpellation eingereicht, in der er den Bundesrat auffordert zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
- Erachtet der Bundesrat den Eingriff des Enthornens von Kälbern und ausgewachsenen Rindern als mit dem Tierschutzgesetz (TSchG) vereinbar?
- Bestehen nach Meinung des Bundesrats Unterschiede zwischen dem Grad der verletzten Integrität bei kupierten Hunden und jenem bei enthornten Rindern?
- Teilt der Bundesrat die Auffassung, dass die tierschutzrechtliche Würde enthornter Rinder i.S.v. Art. 3 lit. a TSchG nicht nur verletzt, sondern auch missachtet wird?
- Teilt der Bundesrat die Auffassung, dass der Aspekt der Verletzungsgefahr für Mensch und Tier bei einer juristisch korrekt vorgenommenen Verhältnismässigkeitsprüfung des Enthornens nicht in die Güterabwägung fällt, weil der Eingriff nicht erforderlich ist?
- Plant der Bundesrat, dem Gesetzgeber ein ausdrückliches Verbot des Enthornens von Rindern nahezulegen und darauf hinzuwirken, dass Tierhaltern von den zuständigen Amtsstellen nur noch Stallsysteme empfohlen werden, die sich für unversehrte Rinder wirklich eignen?
- Der Bundesrat wird dem Nationalrat seine Antwort vermutlich während Herbstsession im September vorlegen